Vergessene Zeitalter des Westens - Verspäte Einsendungen
Verfasst: 2. Dez 2006, 18:21
Anm. d. Aut.: Da der Wettbewerb nun doch einen recht abrupten Abbruch erfuhr, es allem Anschein nach aber mehrere Teilnehmer gibt, die nahezu fertig sind, bietet dieser Thread all jenen die Möglichkeit ihre Geschichten dennoch zu präsentieren. Den Anfang habe ich mit meiner Geschichte ja praktisch schon gemacht und würde mich freuen, wenn es nicht die einzige in diesem Thread bleibt. Die Aufgabenstellung findet sich hier:
Klick mich
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Das Delos-Debakel
Wenngleich ich selbst nicht vermag, wiederzugeben, was einst vor hunderten und tausenden von Jahren vor sich ging, so will ich mich der Herausforderung des alten Mannes dennoch stellen. Bis zum Bersten gefüllte Bücherregale meiner Bibliothek sprechen auch jetzt, in diesen so schweren Zeiten noch die Sprache der Vergangenheit und tragen längst vergessene Geheimnisse solange weiter durch den Fluss der Zeit, bis sie erneut eine Stimme wie die meine in die Welt hinausträgt. Ich will dem alten Herrn einige uralte Schriftstücke vorlegen, auf das sie ihm zeigen, was die Schleier der Vergangenheit bisher noch zu verbergen wissen. Doch seht selbst...
~~~~~~~~
Auszug aus einem frühzeitlichen Roman,
Verfasser unbekannt, Geschätztes Alter: ca. 1267 Jahre
Mit einem Gähnen trat Favael vor die Haustüre. Das nötigste Rüstzeug am Leibesriemen, tat er klackernd und scheppernd einige Schritt den steinigen Steig in den Vordergarten hinaus, wand sich gen Frühröte und linste, immer noch dem Bettzipfel schielend, die Promenade herab. Die Kirschblüte tauchte die Allee in stumpfes Zartrosa und übertrumpfte der Sonne Glanz noch in derlei Herrlichkeit. Kopfnickend einen Gruß der Nachbarschaft schenkend, das Gatter zur Fahrstraße schiebend und auf den Pflasterstein hinaustretend, musterte der Herr Favael die Kundschaft vor des Nachbarn Geschäft ”Siebensachen Allerley”œ. Ein halbes Dutzend guter Menschen harrte vor der Ladentür, schier unerschöpflich Perseveranz schiebend, dieweil ein Moritatensänger Kunde trug von der Schicksal Wege:
Hat der Trunksucht gefrönt, ein Leben lang,
Hat mit Zwölfe den ersten Whisky gelangt,
Hat den Kater gejagt, mit ”™nem weiteren Schluck,
Und man nannte ihn nur, den Kerl ohne Spur.
Hat im vierzehnten Jahr am Weinglas genippt,
Hat im Takt der Musik nur noch mitgewippt,
Hat gewippt und gewippt, bis er umgekippt,
Und man nannte ihn nur, den Kerl ohne Spur.
Hat mit sechzehn schon tief in die Tasche gegriffen,
Hat mit sechzehn schon Cognac und Ouzo gepfiffen,
Hat getrunken, getrunken und immer getrunken,
Und keiner hat aus der Bar ihn gewunken.
Glockengeläut aus dem Nordwesten. Der Herr Favael warf das Haupt ob des jäh erklungenen Getös”™ herum und schwang die rotblonde Lockenpracht dem ahnungslos vorrüberziehenden Passanten in einem hastig”™ Schlenker entgegen. Dort droben, auf dem kargen Felsmassiv der sieben Sonnen, da stand die Kathedrale Sithen”™Dur. Einst ward erbaut solch fulminantes Werk der Handwerkskunst von des Zwergen Stolltrov und seiner elf Gesellen Hand, so kündete der Legenden Ruf. Eine jede der fünf Glocken Sithen”™Durs, droben schimmernd in der Sonne Glanz, sie halle klangvoll durch die Gassen, gebe die Zeit und halte am Leben, wo die Suche danach sich noch lohnt. Im Volke munkelte man von einem Fluch an diesem Orte, es heißt, der Tod sei in das raue Mauerwerk gekrochen. Beschattet durch die Blütenpracht der Kirschallee, Fuß um Fuß die Fuhrwerksstraße in das Zentrum hinabschlendernd, biegen sich die schmalen Zweige in der frischen Morgenbrise und die starren Blicke wandern langsam weiter, in die Ferne, sind verloren hinter dem Gebirgsmassiv Smivohl.
Und im Zentrum ist heut Markt, lockt Gesindel aller Arten in die Stadt. Zwischen bunten Baldachinen, kleinen wie auch großen Zelten und den Teppichen zu Boden, kauern Bettler auf dem kalten Pflastergrund, strecken zittrig ihre Hände und erstarren angesichts der durch die Menge ziehend”™ Wächterschar. Wesen drängeln, schubsen, balgen miteinander, jeder möcht”™ der erste sein. Auf den Ständen sieht man Früchte, Töpfereien, Waffen, Handwerkszeug und Malerei, kann man riechen Bratfett, Wiesenwurz und Ruß und allüberall sieht man ringen, um den besten Platz in erster Reih. Schausteller, Geschichtenerzähler und Narrenchöre ziehen ihre Runden durch die Menge, das gemeine Volk zu unterhalten. Und inmitten alledem unser Herr, Herr Favael. Gewandet in ein samtnes Umschlagtuch, die Hände tief vergraben in der Manteltasche steht er auf dem Vorplatz und besieht das muntre Treiben, wo das Maultier überdrüssig blökend Karr”™ um Karr”™ zum Stande zerrt und Träger wohlgenährte Baronessen übern großen Platze schleppen.
Abschrift eines Kriegsberichts
Verfasser: Offizier Beleanor, Geschätztes Alter: ca. 927 Jahre
01. Tag:
Wir schreiben den sechzehnten Tag des vierten Monats im Jahre 1079. Während die Armee der Serum-Geister gegen Geron Ther rückt, ziehe ich mit etwa hundert Mann Tarunern gegen die Menschen in Delos im Nordwesten des Landes. Unser Plan ist einfach, könnte die Machtverhältnisse innerhalb dieses Krieges bei Erfolg jedoch erheblich beeinflussen. Gelingt es, das Hoheitsgebiet der Nebelkreischer unbemerkt zu passieren, sollte es uns ohne weiteres möglich sein, über das Gebirgsmassiv Smivohl im Südwesten der Stadt einzufallen.
12. Tag:
Wir schreiben den achtundzwanzigsten Tag des vierten Monats im Jahre 1079. Es gelang uns Dranar ohne Komplikationen zu passieren und vor uns liegt nun nur noch das Gebirgsmassiv Smivohl im Nordwesten der Stadt Aklirmon. Hunger nagt bereits an den Kämpferherzen meiner Mannen und nur der Morgentau, der in diesen nebligen Gefilden mitunter mehrere Stunden in der Luft liegt, vermag ihren schier unstillbaren Durst eine Weile zu bändigen.
22. Tag:
Wir schreiben den achten Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Der Abstieg aus Smivohl ist geschafft, kostete jedoch vier meiner Mannen das noch junge Leben. Wir haben am Fuße des Bergmassivs Lager geschlagen und Sithen”™Dur, der Stolz von Aklirmon, der prunkvollsten Stadt Dranars, liegt nur noch etwa einen Tagesmarsch entfernt.
25. Tag:
Wir schreiben den elften Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Durch ein heftiges Unwetter aufgehalten, erreichten wir Sithen”™Dur erst am Morgen des vierundzwanzigsten Tages unserer Reise. Obgleich unser Kommen nicht erwartet wurde, so war der Widerstand doch enorm und die harten Stockschläge des ansässigen Mönchsordens brachten sieben meiner, bis an die Zähne bewaffneten, Männer den Tod. Dennoch, Sithen”™Dur fiel. Wir werden die Nacht über hier verweilen und morgen weiter gen Aklirmon ziehen.
26. Tag:
Wir schreiben den zwölften Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Über Nacht ereignete sich eine wahrlich schauerliche Tragödie. Auf Sithen”™Dur scheint ein Fluch zu liegen, denn heute Morgen erwachten lediglich vierundvierzig meiner Männer erneut. Den Rest fand man tot in ihren Betten auf, ohne ein Anzeichen von Gewalt. Ich weiß nicht, wer oder was an diesem Ort sein Unwesen treibt, doch ist nicht mit ihm zu spaßen, soviel sei sicher.
30. Tag:
Wir schreiben den sechzehnten Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Nach unserem raschen Aufbruch aus Sithen”™Dur, trafen wir vor gut einem Abend vor den Mauern Aklirmons ein. Es gelang zwar, unbemerkt in die Stadt einzudringen, der Widerstand einiger ortansässiger Bauern kostete jedoch den Großteil meiner übrigen Mannen das Leben. Zu zehnt nur noch harren wir nun in Aklirmon und warten auf das Nachrücken der zweiten Armee...
Hier enden die Aufzeichnungen...
Brief des Grafen Spelanos an die Baronesse Itandriel
Verfasser: Graf Spelanos, Geschätztes Alter: ca. 926 Jahre
Werte Baronesse,
entschuldigt meine Abwesenheit bei eurer ohne Zweifel prunkvollen Jahresfeier, doch sind im Moment die Entscheidungen meine Grafschaft betreffend von äußerster Dringlichkeit und dulden keinen Aufschub mehr. Vielleicht hat euch die Kunde um den Fall Aklirmons bereits erreicht und es nur eine Frage der Zeit, bis ein weitaus größeres Heer der Taruner auch gegen meine Grafschaft im Norden rückt. Wenngleich die Mauern unserer Burgstadt Ti-Temdriel als nahezu uneinnehmbar gelten, so beunruhigt mich allein schon die Anwesenheit eines so fähigen Generals wie Beleanor in diesen Gefilden.
Ich wäre euch zu äußerstem Dank verbunden, wenn ihr mir eure Unterstützung zusagen und mir einige eurer im ganzen Lande wegen ihrer tödlichen Präzision zugleich geachteten und gefürchteten Bogenschützen zur Verteidigung der Wallanlage entsenden würdet. Doch drängt die Zeit, denn meine Kundschafter berichten von einer heranrückenden Armee der Taruner, größer noch als die, der es gelang, Aklirmon für sich einzunehmen.
Gez. Graf Spelanos
Bericht eines Überlebenden der Schlacht um Ti-Temdriel
Verfasser: Unbekannt, Geschätztes Alter: ca. 921 Jahre
Sie kamen in der Nacht, urplötzlich waren sie da. Wir waren etwa mit 800 Männern auf den Wällen vertreten, hinzu kamen 200 Bogenschützen der Baronesse Itandriel, die unbeweglich an den Zinnen der Mauer standen und in die Dunkelheit starrten. Trotz des stundenlangen, ereignislosen Harrens, waren sie - ganz im Gegensatz zu unseren Männern, die teils nicht einmal ausgebildete Soldaten waren - nicht einen Moment der Müdigkeit unterlegen. Ihre Erfahrung und die Anwesenheit von Spelanos selbst, der darauf bestanden hatte, an unserer Seite ”zu kämpfen, zu siegen oder zu sterben”œ wie er zu sagen pflegte verlieh dem bunten Haufen aus Zivilisten, Kindern und Berufssoldaten zusätzliche Moral.
Doch bereits als die Späher auf den Türmen, die ersten schemenhaften Gestalten am Horizont meldeten, wurde klar, wie schlecht Ti-Temdriel für den Kriegsfall gerüstet war, selbst wenn seine Befestigungsanlage als eine der besten dieser Welt galt. Einige wenige verfielen bereits jetzt in Panik, sprangen herum wie aufgescheuchte Schneehühner und stießen einander meist selbst von den Wällen. Mit tödlichen Folgen. Die ausgebildeten Bogenschützen Itandriels dagegen zogen allesamt in einer einzigen synchronen Bewegung ihre Bögen hervor und ließen die Bogensehnen mit einem dumpfen Surren nach hinten schnellen. Binnen einiger Sekunden lag ein erster Pfeil abschussbereit auf, der Rest der Männer hatte sich mit Speeren, Hellebarden, oder aber Mistforken bewaffnet, um wohlmöglich herannahende Leiterträger aufzuhalten.
Doch nichts geschah und trotz zahlreicher Beteuerungen der Kundschafter ließ Mann um Mann seine Waffe allmählich wieder sinken. Doch dann, ganz plötzlich war der Vorplatz vor den Wällen in den blutigen Schein Tausender und Abertausender von Fackeln getaucht. Instinktiv rissen Itandriels Mannen ihre Bögen in die Höhe und feuerten eine rasche Salve von drei Pfeilen nach unten und ohne zu wissen wie es möglich war, dass solch ein großes Heer ungesehen so Nahe an sie herangekommen war, stürmten alle übrigen Soldaten zu Steinen und anderen Wurfgeschossen um sie dem Gegner an den Kopf zu werfen.
Doch es war zu spät. Binnen einiger Minuten fanden sich bereits die ersten Taruner auf der Wallanlage wieder und zwangen die ersten unter uns in die Defensive. Spelanos, mit der heiligen Hellebarde von Omakier bewaffnet, einem Relikt längst vergangener Zeiten, wies die meisten unter uns an, die Bogenschützen Itandriels zu schützen, während er und einiger seiner engsten Getreuen sich in den Kampf stürzten. Als jedoch Beleanor selbst, ein von Narben gezeichneter Taruner, der für seine Grausamkeit und seinen Menschenhass weit über die Grenzen Mentorans gefürchtet war, den Wall betrat, schien die Schlacht endgültig verloren.
In einem furiosen Finale standen sich nun Beleanor und Spelanos, zwei lebende Legenden, wenngleich der eine für seine Gutmütigkeit, der andere für seine Grausamkeit bekannt, in dieser alles entscheidenden Schlacht um die Burgstadt Ti-Temdriel gegenüber. Beleanor, bewaffnet mit dem absolut einzigartigen Schakaldolch der Wüstenprinzen, wie nur der oberste Befehlshaber der Taruner ihn zu führen wusste, stand nur regungslos da. Und so holte Spelanos zum ersten Schlag aus. Mit einem wütenden Schrei schleuderte er die Hellebarde empor und stürmte auf sein Gegenüber zu. Ein fataler Fehler. Die Hellebarde sauste mit einem leisen Sirren auf Beleanor herab, der nur einen Zischlaut, gleich einer Schlange ausstieß und sich, den Dolch nach vorn gestreckt, auf Spelanos stürzte. Spelanos wollte ausweichen und riss die Hellebarde gerade noch rechtzeitig herum, den Schlag des Taruners abzufangen. Unsanft prallten die beiden ineinander verrenkt gegen die Zinnen und binnen einer Sekunde hatte Beleanor bereits wieder die Oberhand gewonnen. Er drückte Spelanos mit einem diabolischen Grinsen gegen den schroffen Stein und rammte ihm dann mit einem letzten selbstgefälligen Augenzwinkern den Dolch ins Herz. Bestürzt starrten wir auf den Sieger des Kampfes: Beleanor. Der jedoch zeigte keine Spur von Mitleid und wandte sich blutdurstig zu uns herum. Mit unbekümmerter, anteilsloser Stimme sprach er:
”Jeder, der hier bleibt und weiterkämpft, wird sterben.”œ
Er deutete mit einem fiesen Grinsen zum Zinnwall und stieß Spelanos Leiche den Wall in den Burggraben hinunter.
”Wer leben will, folgt ihm. Springt! Ihr habt eine Minute Zeit.”œ
Ein unheilvolles Raunen ging durch die Menge... Dann... sprang ich... Und er behielt Recht... Niemand der blieb, sollte überleben...
Hier verwischen einige Tränen den Rest und die Aufzeichnungen enden...
~~~~~~~~
Nun... Und was heute noch von dem geschilderten Krieg zeugt, dessen mag sich der alte Mann selbst ein Bild machen. Dort draußen, weit hinter dem Gebirgsmassiv Smivohl, ragt die Kathedrale Sithen”™Dur als einzige unbeschädigt aus den Ruinen Aklirmons hervor und selbst, wenn es den Anschein haben mag, so ist die Kathedrale nicht unbewohnt... Der Fluch der Leben nimmt, er sitzt noch heute in dem alten Gemäuer. Und weiter im Norden finden sich noch heute die überwucherten Reste der Mauern und die Überreste Ti-Temdriels selbst, an deren Zinnen Spelanos fiel. Was aus Beleanor wurde? Das weiß niemand...
Klick mich
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Das Delos-Debakel
Wenngleich ich selbst nicht vermag, wiederzugeben, was einst vor hunderten und tausenden von Jahren vor sich ging, so will ich mich der Herausforderung des alten Mannes dennoch stellen. Bis zum Bersten gefüllte Bücherregale meiner Bibliothek sprechen auch jetzt, in diesen so schweren Zeiten noch die Sprache der Vergangenheit und tragen längst vergessene Geheimnisse solange weiter durch den Fluss der Zeit, bis sie erneut eine Stimme wie die meine in die Welt hinausträgt. Ich will dem alten Herrn einige uralte Schriftstücke vorlegen, auf das sie ihm zeigen, was die Schleier der Vergangenheit bisher noch zu verbergen wissen. Doch seht selbst...
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Auszug aus einem frühzeitlichen Roman,
Verfasser unbekannt, Geschätztes Alter: ca. 1267 Jahre
Mit einem Gähnen trat Favael vor die Haustüre. Das nötigste Rüstzeug am Leibesriemen, tat er klackernd und scheppernd einige Schritt den steinigen Steig in den Vordergarten hinaus, wand sich gen Frühröte und linste, immer noch dem Bettzipfel schielend, die Promenade herab. Die Kirschblüte tauchte die Allee in stumpfes Zartrosa und übertrumpfte der Sonne Glanz noch in derlei Herrlichkeit. Kopfnickend einen Gruß der Nachbarschaft schenkend, das Gatter zur Fahrstraße schiebend und auf den Pflasterstein hinaustretend, musterte der Herr Favael die Kundschaft vor des Nachbarn Geschäft ”Siebensachen Allerley”œ. Ein halbes Dutzend guter Menschen harrte vor der Ladentür, schier unerschöpflich Perseveranz schiebend, dieweil ein Moritatensänger Kunde trug von der Schicksal Wege:
Hat der Trunksucht gefrönt, ein Leben lang,
Hat mit Zwölfe den ersten Whisky gelangt,
Hat den Kater gejagt, mit ”™nem weiteren Schluck,
Und man nannte ihn nur, den Kerl ohne Spur.
Hat im vierzehnten Jahr am Weinglas genippt,
Hat im Takt der Musik nur noch mitgewippt,
Hat gewippt und gewippt, bis er umgekippt,
Und man nannte ihn nur, den Kerl ohne Spur.
Hat mit sechzehn schon tief in die Tasche gegriffen,
Hat mit sechzehn schon Cognac und Ouzo gepfiffen,
Hat getrunken, getrunken und immer getrunken,
Und keiner hat aus der Bar ihn gewunken.
Glockengeläut aus dem Nordwesten. Der Herr Favael warf das Haupt ob des jäh erklungenen Getös”™ herum und schwang die rotblonde Lockenpracht dem ahnungslos vorrüberziehenden Passanten in einem hastig”™ Schlenker entgegen. Dort droben, auf dem kargen Felsmassiv der sieben Sonnen, da stand die Kathedrale Sithen”™Dur. Einst ward erbaut solch fulminantes Werk der Handwerkskunst von des Zwergen Stolltrov und seiner elf Gesellen Hand, so kündete der Legenden Ruf. Eine jede der fünf Glocken Sithen”™Durs, droben schimmernd in der Sonne Glanz, sie halle klangvoll durch die Gassen, gebe die Zeit und halte am Leben, wo die Suche danach sich noch lohnt. Im Volke munkelte man von einem Fluch an diesem Orte, es heißt, der Tod sei in das raue Mauerwerk gekrochen. Beschattet durch die Blütenpracht der Kirschallee, Fuß um Fuß die Fuhrwerksstraße in das Zentrum hinabschlendernd, biegen sich die schmalen Zweige in der frischen Morgenbrise und die starren Blicke wandern langsam weiter, in die Ferne, sind verloren hinter dem Gebirgsmassiv Smivohl.
Und im Zentrum ist heut Markt, lockt Gesindel aller Arten in die Stadt. Zwischen bunten Baldachinen, kleinen wie auch großen Zelten und den Teppichen zu Boden, kauern Bettler auf dem kalten Pflastergrund, strecken zittrig ihre Hände und erstarren angesichts der durch die Menge ziehend”™ Wächterschar. Wesen drängeln, schubsen, balgen miteinander, jeder möcht”™ der erste sein. Auf den Ständen sieht man Früchte, Töpfereien, Waffen, Handwerkszeug und Malerei, kann man riechen Bratfett, Wiesenwurz und Ruß und allüberall sieht man ringen, um den besten Platz in erster Reih. Schausteller, Geschichtenerzähler und Narrenchöre ziehen ihre Runden durch die Menge, das gemeine Volk zu unterhalten. Und inmitten alledem unser Herr, Herr Favael. Gewandet in ein samtnes Umschlagtuch, die Hände tief vergraben in der Manteltasche steht er auf dem Vorplatz und besieht das muntre Treiben, wo das Maultier überdrüssig blökend Karr”™ um Karr”™ zum Stande zerrt und Träger wohlgenährte Baronessen übern großen Platze schleppen.
Abschrift eines Kriegsberichts
Verfasser: Offizier Beleanor, Geschätztes Alter: ca. 927 Jahre
01. Tag:
Wir schreiben den sechzehnten Tag des vierten Monats im Jahre 1079. Während die Armee der Serum-Geister gegen Geron Ther rückt, ziehe ich mit etwa hundert Mann Tarunern gegen die Menschen in Delos im Nordwesten des Landes. Unser Plan ist einfach, könnte die Machtverhältnisse innerhalb dieses Krieges bei Erfolg jedoch erheblich beeinflussen. Gelingt es, das Hoheitsgebiet der Nebelkreischer unbemerkt zu passieren, sollte es uns ohne weiteres möglich sein, über das Gebirgsmassiv Smivohl im Südwesten der Stadt einzufallen.
12. Tag:
Wir schreiben den achtundzwanzigsten Tag des vierten Monats im Jahre 1079. Es gelang uns Dranar ohne Komplikationen zu passieren und vor uns liegt nun nur noch das Gebirgsmassiv Smivohl im Nordwesten der Stadt Aklirmon. Hunger nagt bereits an den Kämpferherzen meiner Mannen und nur der Morgentau, der in diesen nebligen Gefilden mitunter mehrere Stunden in der Luft liegt, vermag ihren schier unstillbaren Durst eine Weile zu bändigen.
22. Tag:
Wir schreiben den achten Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Der Abstieg aus Smivohl ist geschafft, kostete jedoch vier meiner Mannen das noch junge Leben. Wir haben am Fuße des Bergmassivs Lager geschlagen und Sithen”™Dur, der Stolz von Aklirmon, der prunkvollsten Stadt Dranars, liegt nur noch etwa einen Tagesmarsch entfernt.
25. Tag:
Wir schreiben den elften Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Durch ein heftiges Unwetter aufgehalten, erreichten wir Sithen”™Dur erst am Morgen des vierundzwanzigsten Tages unserer Reise. Obgleich unser Kommen nicht erwartet wurde, so war der Widerstand doch enorm und die harten Stockschläge des ansässigen Mönchsordens brachten sieben meiner, bis an die Zähne bewaffneten, Männer den Tod. Dennoch, Sithen”™Dur fiel. Wir werden die Nacht über hier verweilen und morgen weiter gen Aklirmon ziehen.
26. Tag:
Wir schreiben den zwölften Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Über Nacht ereignete sich eine wahrlich schauerliche Tragödie. Auf Sithen”™Dur scheint ein Fluch zu liegen, denn heute Morgen erwachten lediglich vierundvierzig meiner Männer erneut. Den Rest fand man tot in ihren Betten auf, ohne ein Anzeichen von Gewalt. Ich weiß nicht, wer oder was an diesem Ort sein Unwesen treibt, doch ist nicht mit ihm zu spaßen, soviel sei sicher.
30. Tag:
Wir schreiben den sechzehnten Tag des fünften Monats im Jahre 1079. Nach unserem raschen Aufbruch aus Sithen”™Dur, trafen wir vor gut einem Abend vor den Mauern Aklirmons ein. Es gelang zwar, unbemerkt in die Stadt einzudringen, der Widerstand einiger ortansässiger Bauern kostete jedoch den Großteil meiner übrigen Mannen das Leben. Zu zehnt nur noch harren wir nun in Aklirmon und warten auf das Nachrücken der zweiten Armee...
Hier enden die Aufzeichnungen...
Brief des Grafen Spelanos an die Baronesse Itandriel
Verfasser: Graf Spelanos, Geschätztes Alter: ca. 926 Jahre
Werte Baronesse,
entschuldigt meine Abwesenheit bei eurer ohne Zweifel prunkvollen Jahresfeier, doch sind im Moment die Entscheidungen meine Grafschaft betreffend von äußerster Dringlichkeit und dulden keinen Aufschub mehr. Vielleicht hat euch die Kunde um den Fall Aklirmons bereits erreicht und es nur eine Frage der Zeit, bis ein weitaus größeres Heer der Taruner auch gegen meine Grafschaft im Norden rückt. Wenngleich die Mauern unserer Burgstadt Ti-Temdriel als nahezu uneinnehmbar gelten, so beunruhigt mich allein schon die Anwesenheit eines so fähigen Generals wie Beleanor in diesen Gefilden.
Ich wäre euch zu äußerstem Dank verbunden, wenn ihr mir eure Unterstützung zusagen und mir einige eurer im ganzen Lande wegen ihrer tödlichen Präzision zugleich geachteten und gefürchteten Bogenschützen zur Verteidigung der Wallanlage entsenden würdet. Doch drängt die Zeit, denn meine Kundschafter berichten von einer heranrückenden Armee der Taruner, größer noch als die, der es gelang, Aklirmon für sich einzunehmen.
Gez. Graf Spelanos
Bericht eines Überlebenden der Schlacht um Ti-Temdriel
Verfasser: Unbekannt, Geschätztes Alter: ca. 921 Jahre
Sie kamen in der Nacht, urplötzlich waren sie da. Wir waren etwa mit 800 Männern auf den Wällen vertreten, hinzu kamen 200 Bogenschützen der Baronesse Itandriel, die unbeweglich an den Zinnen der Mauer standen und in die Dunkelheit starrten. Trotz des stundenlangen, ereignislosen Harrens, waren sie - ganz im Gegensatz zu unseren Männern, die teils nicht einmal ausgebildete Soldaten waren - nicht einen Moment der Müdigkeit unterlegen. Ihre Erfahrung und die Anwesenheit von Spelanos selbst, der darauf bestanden hatte, an unserer Seite ”zu kämpfen, zu siegen oder zu sterben”œ wie er zu sagen pflegte verlieh dem bunten Haufen aus Zivilisten, Kindern und Berufssoldaten zusätzliche Moral.
Doch bereits als die Späher auf den Türmen, die ersten schemenhaften Gestalten am Horizont meldeten, wurde klar, wie schlecht Ti-Temdriel für den Kriegsfall gerüstet war, selbst wenn seine Befestigungsanlage als eine der besten dieser Welt galt. Einige wenige verfielen bereits jetzt in Panik, sprangen herum wie aufgescheuchte Schneehühner und stießen einander meist selbst von den Wällen. Mit tödlichen Folgen. Die ausgebildeten Bogenschützen Itandriels dagegen zogen allesamt in einer einzigen synchronen Bewegung ihre Bögen hervor und ließen die Bogensehnen mit einem dumpfen Surren nach hinten schnellen. Binnen einiger Sekunden lag ein erster Pfeil abschussbereit auf, der Rest der Männer hatte sich mit Speeren, Hellebarden, oder aber Mistforken bewaffnet, um wohlmöglich herannahende Leiterträger aufzuhalten.
Doch nichts geschah und trotz zahlreicher Beteuerungen der Kundschafter ließ Mann um Mann seine Waffe allmählich wieder sinken. Doch dann, ganz plötzlich war der Vorplatz vor den Wällen in den blutigen Schein Tausender und Abertausender von Fackeln getaucht. Instinktiv rissen Itandriels Mannen ihre Bögen in die Höhe und feuerten eine rasche Salve von drei Pfeilen nach unten und ohne zu wissen wie es möglich war, dass solch ein großes Heer ungesehen so Nahe an sie herangekommen war, stürmten alle übrigen Soldaten zu Steinen und anderen Wurfgeschossen um sie dem Gegner an den Kopf zu werfen.
Doch es war zu spät. Binnen einiger Minuten fanden sich bereits die ersten Taruner auf der Wallanlage wieder und zwangen die ersten unter uns in die Defensive. Spelanos, mit der heiligen Hellebarde von Omakier bewaffnet, einem Relikt längst vergangener Zeiten, wies die meisten unter uns an, die Bogenschützen Itandriels zu schützen, während er und einiger seiner engsten Getreuen sich in den Kampf stürzten. Als jedoch Beleanor selbst, ein von Narben gezeichneter Taruner, der für seine Grausamkeit und seinen Menschenhass weit über die Grenzen Mentorans gefürchtet war, den Wall betrat, schien die Schlacht endgültig verloren.
In einem furiosen Finale standen sich nun Beleanor und Spelanos, zwei lebende Legenden, wenngleich der eine für seine Gutmütigkeit, der andere für seine Grausamkeit bekannt, in dieser alles entscheidenden Schlacht um die Burgstadt Ti-Temdriel gegenüber. Beleanor, bewaffnet mit dem absolut einzigartigen Schakaldolch der Wüstenprinzen, wie nur der oberste Befehlshaber der Taruner ihn zu führen wusste, stand nur regungslos da. Und so holte Spelanos zum ersten Schlag aus. Mit einem wütenden Schrei schleuderte er die Hellebarde empor und stürmte auf sein Gegenüber zu. Ein fataler Fehler. Die Hellebarde sauste mit einem leisen Sirren auf Beleanor herab, der nur einen Zischlaut, gleich einer Schlange ausstieß und sich, den Dolch nach vorn gestreckt, auf Spelanos stürzte. Spelanos wollte ausweichen und riss die Hellebarde gerade noch rechtzeitig herum, den Schlag des Taruners abzufangen. Unsanft prallten die beiden ineinander verrenkt gegen die Zinnen und binnen einer Sekunde hatte Beleanor bereits wieder die Oberhand gewonnen. Er drückte Spelanos mit einem diabolischen Grinsen gegen den schroffen Stein und rammte ihm dann mit einem letzten selbstgefälligen Augenzwinkern den Dolch ins Herz. Bestürzt starrten wir auf den Sieger des Kampfes: Beleanor. Der jedoch zeigte keine Spur von Mitleid und wandte sich blutdurstig zu uns herum. Mit unbekümmerter, anteilsloser Stimme sprach er:
”Jeder, der hier bleibt und weiterkämpft, wird sterben.”œ
Er deutete mit einem fiesen Grinsen zum Zinnwall und stieß Spelanos Leiche den Wall in den Burggraben hinunter.
”Wer leben will, folgt ihm. Springt! Ihr habt eine Minute Zeit.”œ
Ein unheilvolles Raunen ging durch die Menge... Dann... sprang ich... Und er behielt Recht... Niemand der blieb, sollte überleben...
Hier verwischen einige Tränen den Rest und die Aufzeichnungen enden...
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Nun... Und was heute noch von dem geschilderten Krieg zeugt, dessen mag sich der alte Mann selbst ein Bild machen. Dort draußen, weit hinter dem Gebirgsmassiv Smivohl, ragt die Kathedrale Sithen”™Dur als einzige unbeschädigt aus den Ruinen Aklirmons hervor und selbst, wenn es den Anschein haben mag, so ist die Kathedrale nicht unbewohnt... Der Fluch der Leben nimmt, er sitzt noch heute in dem alten Gemäuer. Und weiter im Norden finden sich noch heute die überwucherten Reste der Mauern und die Überreste Ti-Temdriels selbst, an deren Zinnen Spelanos fiel. Was aus Beleanor wurde? Das weiß niemand...