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von Gaerfin Tinnuin » 8. Mär 2008, 19:31
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Im unregelmäßigen Takt klickte die große Tafel in der Halle des Handels. Die Halle war ohne jede Zierde und sie lies an Bequemlichkeiten mangeln. Lediglich einige Tische und Stühle gab es neben der Tafel und den alten Heizrohren, die an den Wänden verliefen. Von einem Ende zum anderen lief man gut hundert Schritte, wenn nicht sogar mehr und um an die Decke zu gelangen, muss man ein Riese sein, oder fliegen können. Aber im Gegensatz zu riesen-groß-sein konnte das dort keiner. Oder viel mehr hörte man von noch keinem, der hinauf geflogen wäre, war er kein übervorteilter Händler der an die Denke gingen. Aber das wollte man nicht gelten lassen.
Hohe, schmale Fenster waren an der Süd- und Westseite des Gebäudes angebracht und ein mächtiges Portal lies jeden den es beliebt ein und ausgehen, egal ob Tag oder Nachtzeit. An Tagen, wenn die Halle fast unbesucht war, war dieses klickende Geräusch auf betäubende Art einschläfernd. Zumindest für jene die es nicht interessierten was sich auf der Tafel voller Zahlen und Namen verschiedener Unternehmen tat. Zu anderen Zeiten ging es an diesem Ort so laut zu, dass man das Klicken kaum vernahm und die verschiedensten Wesen, von Menschen, über Zwerge bishin zu Serum-Geister gingen eifrig ihren Geschäften nach und handelten mit Papier, das man geläufig Anteilschein nannte, und Goldmünzen wechselten den Besitzer und vor allem stritt man sich über Sinn und Unsinn von Ankauf und Verkauf. Viele schlenderten auch einfach nur so herum, träumten, plauderten, oder sahen sich neugierig die wichtigen Leute an die da waren, weil sie eben wichtig waren und wichtige Dinge taten. Was hauptsächlich darin bestand schlicht wichtig zu sein.
Einer dieser bedeutenden Leute sprach in einer abgelegeneren Ecke des großen Saals leise zu einem Mädchen das nicht ganz glücklich mit ihrem Schicksal zu sein schien. Viel mehr galt ihr Gehör dem Klicken der Tafel und ihre Augen blickten ins Nirgendwo. Gedankenverloren nickte sie einmal, sprach dann selbst ein paar Worte die wohl gerade angebracht waren und schwieg dann wieder. Es war eigentlich nicht ihre Art und ihr gesamtes Erscheinungsbild sprach nicht eben von Unauffälligkeit, geschweigedenn von Zurückhaltung; Ihre schimmernden, kupferroten Locken standen nach allen Seiten ab und nebst feiner Sommersprossen schmückten Lachgrübchen ihr mondrundes Gesicht. Ein knalliges Rot schrie einem von dem Hemdchen entgegen das sie trug, oder hätte es getan, wenn es nicht schon so ausgeblichen wäre, und eine faltige, jedoch saubere Schürze hing über ihrem dunkelblauen Rock der gerade einmal kurz über die Knie ging. Wer genauer hinsah bemerkte, dass sie leicht in ihren Stiefeln auf und abwippte, als würde Ungeduld jeden Moment über ihre Verschwiegenheit siegen. Die Stiefel, im Übrigen, waren alles was an ihr schmutzig war sah man von den Fingern ab an denen Schmutz haftete den kein Auge erblicken konnte. Dicke, rotbraune Lehmklumpen verkrusteten die Schuhe und haben im Laufe der Zeit das Leder spröde gemacht. An einer rissigen Stelle sah man einen kleinen, weißen Zeh durch schimmern.
Der Mann, vor dem sie so wippend und schwermütig da stand war alles andere als schäbig gekleidet. Prachtvoll, jedoch nicht von der Beschaffenheit der Kleider her. Ein langer, dunkler Mantel hing von seinen Schultern hinab und nur ein leichtes Schimmern des Gewebes lies das schwarze Haar, das auf den Mantel zu fließen schien, abheben. Alles an ihm war dunkel ohne jedoch bedrohlich zu sein und betonte die blasse, beinah fahle Haut. Mandelförmige Augen von unbestimmter Farbe schienen alles zu sehen, selbst was hinter seinem Rücken oder gar in weiter Ferne geschah. Selbst einem dem seine feinen Gesten oder die dezente Mimik entgehen, und seine wohlgesetzten Worte überhören sollte, musste durch das Merkmal spitzer Ohren nicht lange überlegen welcher Herkunft der Elb war.
Das Gespräch zog sich hin. Die Wesen die an ihnen vorbei gingen beachteten sie nicht weiter. Mit dem Blick folge ihnen das Mädchen als würde es hoffen auf einem der Rücken Klarheit für ihre wirren, irrenden Gedanken zu finden.
Ihr Leben war ohnehin schon turbulent genug auch ohne Gedanken an Weltgefüge, mystische Sphären und Magie. Doch irgendetwas hat sie falsch gemacht, ja, angerichtet und an ihr lagt es nun, Wiedergutmachung zu leisten und das hieß in erster Linie lernen, lernen, lernen.
Das Mädchen, das man schlicht Fin nannte, war überzeugt, aus dem Alter heraus zu sein und nie wieder eine Schulbank drücken zumüssen. Damit allerdings hatte sie Glück, denn bei dieser seltsamen Art von Unterricht gab es einfach keine Schulbänke und Theorie diente mehr der Entspannung, denn im Gegensatz die Praxis des Gelernten nervenaufreibend und nicht selten gefährlich war. Jedoch kam sie nicht drumherum. Wenn sie ein was mit ihren dreizehn Jahren wusste dann, dass man eine selbst gekochte Suppe stehts auch selbst auslöffeln und dazu stehen muss, was man getan hat. Auch, so wie in ihrer Geschichte, man nicht weis, wo der Fehler lag.
Sie dachte gerade darüber nach, was ihr der Elbe über den Verbleib des "großen Übels" berichtet hatte, als die ruhige Stimme Istharions wieder zu ihr durchdrang und sie aus ihren Tagträumen riss. >>Das achte Gesetz, Fin, du erinnerst dich? << Die Verlegenheit darüber, dass sie nicht ganz zugehört hatte, stand ihr im Gesicht geschrieben >>Äh, nein, Meister Adanedhel. Ich kenne es, doch ich erinnere mich nicht.<<
>>Du hast exakt fünf Minuten, dann bin ich weg,<< sprach er mit einem Seufzen und in seinem fein geschnittenem Gesicht spiegelte sich Missfallen. >>Das ist nicht fair!<< Müpfte sie wie so oft lediglich in Gedanken auf und versuchte sich die Gesetze der Magie in Erinnerung zurufen.
Dicht neben ihr saß Fabrama. Eine kluge, mütterliche Frau die oft ihre wachenden Augen über Fin hatte, und eben so oft ein Auge zu machte wenn es darum ging, dem Mädchen zu helfen. Nun beugte sie sich unmerklich zu dem Kind ohne von ihrer Handarbeit aufzublicken und raunte ihm leise zu, >>Erweist euch des Sieges würdig...<<. Sofort fiel ihr die gesamte Textpassage ein, schnappte nach Luft um zu zitieren und wurde unterbrochen, >>Hol Luft zum Laufen, nicht um reden...<< murmelte Istharion und Fin meinte zu bemerken, wie er Fabrama einen tadelnden Blick zu warf.
>>Das achte Gesetz der Magie; erweist euch des Sieges würdig, stehe zu deinen Taten und handle aus Überzeugung. Böse Menschen müssen bestraft werden um Leid zuverhindern.<< gab sie im selbstgefälligen Ton zur Antwort und war erleichtert, als der spitzohrige Mann lächelte. >>Na also. Nun darf ich dir das zehnte Gesetz verraten. Möchtest du es hören? <<
>>Da fehlt ja noch eines!<<
Istharion nickte lediglich und überging die scharfsinnige Bemerkung. >>Es lautet: Wer absichtlich der Wahrheit den Rücken zu kehrt, verrät sich Selbst. Und deine Aufgabe ist es, Fin, es zu interpretieren. In wohlfeilen Worten.
Ihr kam es vor wie ein mieser Trick und sie erblasste. >>Oh...<<
>>Wenn es dir gelingt, werde ich es in der angemessenen Form in das Buch schreiben, welches Fabrama besitzt<<
Fin kannte das Buch. Zu gut kannte sie es. Ja, sie hatte das Gefühl, dass damit erst ihr ganzes Malheur seinen Anfang nahm obwohl sie es natürlich besser wusste und dankbar sein sollte, dass sie es lesen durfte. Es war ein sehr kleines Buch im hübschen Einband, mit wenigen Seiten auf denen jedes der acht Gesetze für sich stand umrahmt von Schnörkeln und verzierten Linien, so, dass sich die Muster auf keiner Seite glichen und das Buch alles in allem sehr wert- und geheimnisvoll anzuschauen war.
Vor einigen Wochen erst hatte sie jedes Wort sorgfältig abgeschrieben nach dem sie es Fabrama, oder Dame Liel, wie sie sie nannte, regelrecht abgeschwatzt hatte. Es war ein Drahtseilakt die Dame davon zu überzeugen, dass nichts unrechtes damit passieren würde, denn Fabrama kannte die schlechte Angewohnheit des Mädchens, fremder Leute Dinge in die eigenen Taschen zu stecken. Dass es ihr Brotverdienst war, wollte Fabrama nicht einsehen denn sie hatte offenbar eine absolut weltfremde Anschauung. Aber Fin wollte sie lieber nicht darauf hinweisen denn eben so wenig, wie sie sie je bestehlen würde, würde sie sich auf eine Diskussion mit ihr einlassen wollen -eine Stimme in ihr, die sehr vernünftig klang, legte ihr nahe, dass sie den Kürzeren ziehen würde.
Auf der großen Tafel änderten sich wieder einige Zahlen und mit einem, auf einmal sehr lautem, Klicken zeigte sie den neuen Kurs an.
>>Oh...<< wiederholte Fin. Im Augenschein der Aufgabe die ihr Istharion stellte, schwankte sie zwischen Stolz und Zweifel. Stolz darüber, dass er ausgerechnet ihre Worte in dieses feine Buch aufnehmen wollte, und Zweifel, weil sie sehr wohl wusste wie kindisch es von ihr war, die Ohren zu verschließen und jedes Wort abzustreiten, wenn es die Erwachsenen wieder einmal rüttelte über ihre "besondere Macht" zusprechen; etwas, was das Mädchen weder verstehen konnte, noch wollte. Und dennoch tat sie es zu gerne denn die Furcht riet ihr, sich auf nichts einzulassen, was sie nicht verstand.
>>Oh...<< wiederholte Istharion und seine Augen funkelten schelmisch.
>>Wenn ihr es wollt, will ich es versuchen. Aber erwartet nichts Großes! Ich hab\s nicht so mit Worten, wisst ihr.<<
>>Was man an deinem Tagebuch ja sehen kann.<<
>>Was?<<
>>Rede keinen Unsinn, Kind. Du schreibst sehr schön.<<
>>Ihr seid ja verrückt, ich habe kein Tagebuch!<< plötzlich viel munterer drückte sich Fin ihren Beutel an die Brust als wöllte sie etwas wichtiges behüten. Wie konnte das sein? Wenn dies ein elbischer Scherz war, war es kein guter.
>>Nenne es wie du willst. Dein Vater kennt es jedenfalls auswendig. Aber das ist ja jetzt nicht so wichtig.<<
Er wollte auf den Unterricht zurückkommen als wäre nichts gewesen, Fin jedoch murmelte verstört vor sich hin, >>So ein Unsinn, das ist ja wohl nicht wahr. Von wegen Tagebuch, was sollte da schon drinnen stehen?<<
Geduldig hörte er sich ihren Wortschwall an und musterte das Kind mit angezogenen Brauen. >>Aber was meinst du, woher er wohl wusste, dass du die Kugel verloren hast?<<
Die kleine Zauberkugel war ein Fluchtweg aus bremslichen Situationen. Wenn man sie nur an der richtigen Stelle drückte, brachte sie einen auf die Mauerkrone der Grenze zwischen Süd- und Nordburan, dem Wohnort des Schattentänzers. Dieser Weg war einem jedoch nur einmal gegönnt und sobald man sich dessen bediente, verschwand die Kugel im Nichts. Wider besseren Wissens musste es das Mädchen ausprobieren. Ganz ohne Not und drohender Gefahr, lediglich der Wunsch dort hinauf, und zu dem Bewohner der Mauer zu kommen lies sie den kleinen Schatz verschwenden und grämte sie sich auch darüber, ihren Vater nicht vorgefunden zuhaben, hatte sich der Ausflug gelohnt; denn nirgends ist der Sonnenaufgang schöner anzuschauen, als über der toten Stadt Buran und den Gebirgszügen die sie umgeben.
>>Simon weis alles.<< und damit war das Thema für sie erledigt. Seit der Elbe darüber witzelte, auf seiner typisch trockenen Art, wie sie sich benahm wenn man über Simon sprach, nahm sie sich vor keinem mehr Anlass zum Lästern zu geben. Woran es lag, dass diese zwielichtige Gestallt plötzlich Mittelpunkt ihres Tuns und Denken war, hätte sie nicht erklären können. Und war ihr Lehrer auch der Freund des selbsternannten Vaters, hatte er kein Recht diese wertvolle Bindung auf irgendeine Weise ins Lächerliche zu ziehen.
So kreisten wieder wirr die Gedanken durch ihren Kopf. Doch anstatt sich dem aufkommenden Trotz gegenüber Istharion hinzugeben versuchte sie sich auf die Aufgabe zu konzentrieren. >>Bis zur nächsten Stunde? Soll die Aufgabe erledigt sein, meine ich?<< wollte sie wissen, doch diesmal lag es an dem Elben, nicht ganz bei der Sache zu sein. Er starrte abwesend vor sich hin. Auch Fabrama merkte das und legte ihre Arbeit lächelnd nieder. Mit verschwörerischem Flüstern sprach sie zu Fin >>Wenn du möchtest, helfe ich dir. Das machen wir gemeinsam, daheim am Küchentisch.<<
>>Oh ja,<< antwortete sie im gleichen, leisen Ton, >>sonst verstehe ich es wohl nie..<<
>>Ich bin doch auch neugierig und möchte ebenfalls helfen ihn zu besiegen, auch wenn ich nicht so mächtig bin wie...<<
>>Hört auf damit, Dame Liel. Habt ihr gehört, was Simon tut? Er hat ihn bei sich zuhause, der Ärmste!<<
Als hätte sie Fin nicht gehört fuhr sie etwas strenger fort >>Ich denke, du trägst große Macht in dir, Fin. Nur weist du sie noch nicht zu gebrauchen.<< Istharion blinzelte leicht und Fabrama schloss mit nachdenklichem Blick zu ihm >>Aber du wirst es lernen.<<
>>Wir waren beim Lichtwald.<< sprach der Elb endlich. >>Tatsache ist, dass der Düsterschatten stets weis wo du bist und sich nur ungern weit von Ruward entfernt.<<
Sie wollte es nicht hören. Sie wollte, dass sie es nicht hören musste. Lieber noch eine Lektion über Magie, als über den Schatten zu sprechen und darüber, was zu tun war um wieder gut zu machen, was sie angerichtet hatte. Sie starrte wieder zu der Tafel und versuchte Istharions Worte zu verstehen, ohne sie auf sich wirken zulassen.
>>Er wird dich angreifen wenn du unvorsichtig bist, und Simon dich nicht schützt. Du bist stark, und damit er sich an dich hinanwagt musst du schwach sein. Erinnerst du dich an den Flammenschlag, den Phytum vom Alten verpasst bekam? Ein winziger Funke glomm anschließend noch in ihm.<<
Auch das gehörte zu den Dingen, die Fin nicht vergessen konnte. Es war eine der wenigen Begegnungen mit dem Herrn der Festung, wie man ihn allgemein nannte. Es war keine freudige Begegnung, und Phytum, der sie vor etwas schützen wollte, was sie nicht hätte fürchten brauchen zog den Zorn des Magiers auf sich. Wieder eine Schuld, die Fin auf ihren Schmalen Schultern trug, doch wie hätte sie Phytum nicht um Hilfe bitten können, dachte sie doch es ginge ihr an den Kragen? Jedoch, so sind die Menschen. Sie glauben, was sie am meisten fürchten und es bedurfte noch vieler Fehler, bis Fin das verstand.
>>Nun, hätte der Düsterschatten Phytum just in diesem Augenblick erwischt, wäre er nun selbst ein Wandler in den Schatten, nicht unähnlich dem Feind. Das ist es, was der Düsterschatten für dich wünscht.<< Mit undurchschaubarer Miene fuhr er fort. >>Also wirst du ihm genau das geben.<<
>>Ihr meint doch nicht etwa... Meister Adanedhel, das werde ich nicht!<< verstört blickte sie den Elben an als er sich zu ihr hinab beugte und die Hände auf die Knie stützte. >>Also gut, noch einmal für kleine Mädchen<< sprach er schleppend und holte tief Luft. Mit einem amüsierten Unterton, der Fin in diesem Moment unheimlich störte, hörte sie Fabrama murmeln >>Holt Luft zum Laufen.<<
Istharion wartete einen Augenblick bis er sich der Aufmerksamkeit des Kindes sicher war und sprach in nervenaufreibender Gleichgültigkeit. >>Der Alte wird bei dir im Lichtwald sein, wenn alles vorbereitet ist. Eben so wie die Acht, die dich unterstüzen werden. Sie werden um dich einen Ring bilden und <<
>>Acht? Welche Acht?<<
>>Ich weiß nicht, welche sieben. Einer steht vor dir.<<
>>Und eine steht hinter dir.<< Fabrama zog dem Mädchen eine Haarlocke aus dem Mund, auf der sie begonnen hatte nervös zu kauen.
>>Der Alte wird dich vernichten. Fast. Und Simon bekommt ein Zeichen, dass er den Schatten ziehen lassen soll.<< Seine Stimme senkte sich. Ein Arbeiter ging an den Wänden der Halle entlang und entzündete die Fackeln als die Dämmerung in das Gebäude schlich. Das Klicken der Tafel drang störend laut in Fins Bewusstsein.
>>Du wirst leiden. Dem Tode nah sein. Gequält... verbrannt... und fast zerstört. Er wird nicht anders können, als zu dir zu kommen. Und du wirst das achte Gesetz anwenden, und das schnell.
Die Acht, die dich umringen, werden die Fackeln tragen die der Alte für diesen Zweck erschuf. Sie werden ihn vollkommen sichtbar machen und verhindern, dass er flieht. Dann, Fin, wirst du dich als würdig erweisen müssen. Du wirst dich selbst heilen. Du wirst dich selbst schützen. Du wirst den Bannspruch über den Schatten sprechen<< Er richtete sich wieder zu voller Größe auf. Das Licht von den Wänden hinter ihm gaben Istharion ein furchteinflößendes Aussehen. Als er weiter sprach war Fin, als zeichnete sich auf dem Anblick ihr Verhängnis ab.
>>Du musst schneller sein als er. Weder dich, noch Thargelion darf er angreifen. Gelingt ihm das eine, wirst du zum Schatten, gelingt ihm das andere, wird er so mächtig sein, dass du verlierst. Kann er sich vorher am Herrn der Festung stärken, wirst du untergehen. Heilst du dich nicht schnell genug, wirst du untergehen. Schützt du dich nicht schnell genug, wird er dich daran hindern, den Bann zu sprechen. Versagst du, werden viele Leid erfahren.<<
Er lächelte. Sie vertrieb die grausamen Bilder, die sich vor ihrem geistigen Auge abspielten, und sah noch einmal hin. Er lächelte tatsächlich. Als hätte er über eine gute Ernte gesprochen. Sie sah zu Fabrama, deren Lippen schmal geworden sind als Istharion sprach. Als sie Fins Blick gewahr wurde straffte sie die Schultern. >>Du wirst nicht versagen Fin, ich habe vollstes Vertrauen in Dich.<<
>>So geht es mir auch, Frau Liel. Das einzige, was mir tatsächlich ein wenig Kopfzerbrechen macht, ist was aus Fin anschließend wird. Wenn sie die Macht des Schattens nimmt, wird es ein Kind geben, das unausgebildet ist, aber dennoch größten Respekts verdient. Simon wusste wohl sehr genau, was er tat, als er dich Tochter nannte.<<
Das war zu viel. Die Angst schnürte ihr die Kehle zu und ihr Magen rebellierte. Die Zuversicht die man ihr entgegenbrachte war wie ein Schnitt in das kleine Herz; so viel Vertrauen auf jemanden wie sie, die rannte wenn es bremslich wurde und so wenig von dem verstand, was man von ihr erwartete. Die Qual wurde auch nicht besser als sie mit halb erstickter Stimme fragte, ob sie die Kraft des Düsterschattens wirklich auf sich nehmen soll. >>Natürlich!<< rief der Elbe entnervt auf und bedrohliche Lienen zeichnet sich auf seiner Stirn ab. >>Du wirst ihn nicht zurück auf die Schattenpfade schicken, du wirst ihn vernichten und damit seine arkane Essenz aufnehmen.<<
>>Was hat das zu bedeuten?<< sprach sie laut aus und dachte; wie konnte er nur so lässig darüber sprechen? Wie konnte er es wagen, ihre Furcht nicht zu teilen? Was war eine arkane Essenz?
Die übliche Gelassenheit kehrte auf sein Gesicht zurück. In seiner ruhigen Stimme lag etwas Feierliches als er schließlich weiter sprach. >> Und die Götter sollen denen Gnaden, die hernach ihren Zorn herausfordern.
Das bedeutet es. Und dies ist meine Aufgabe. Ich soll dich das lehren, was notwenig ist, damit du deine Kraft zubeherschen lernst und sie gemäß den Gesetzen anwendest.<<
>>Nein, das bedeutet es nicht! Es sagt mir nicht, was die Essenz ausmacht, ob ich das überhaupt will und...<<
>>Hast du eine Wahl?<<
Sie ließ die Schultern hängen und wusste nicht mehr zu antworten.
Chaos. Sie musste nicht einmal auf den Gang hinaus schauen, um zu wissen was geschehen war. Gebellte Befehle halten durch die Höhle. Eine von vielen, in denen just das Gleiche geschah. Früher war sie jedes Mal aufgeschreckt, doch mittlerweile hatte sie sich an den Ablauf der "Räumung" gewöhnt.
Es kam gelegentlich vor, dass ein Abenteurer seine Nase zu weit in Dinge steckte, die ihn nichts angingen und tiefer in das Geheimnis des Jerodar-Clans eindrang, als gut für ihn war. Es war kein leichtes für die Diebe, die obere Höhle zu halten, deshalb war der Eingang zum unteren Höhlensystem gut geschützt und für das bloße Auge unauffindbar. Wenn ein ungebetener Besucher durchkam, alarmierte der Wachposten durch ein bestimmtes Zeichen die Wache in der angrenzenden Höhle und es handelte sich meist nur um Sekunden, bis in den unteren Ebenen alles, was ein Schwert halten konnte, auf den Beinen stand.
Fin ging es nichts an. Kurz spürte sie Bedauern für den Abenteurer in sich aufkommen. Die Diebe waren keine Mörder und im Kampfe ungeübt. Einmancher jedoch, der glaubte diese Schwäche nutzen zu können, wurde eines Besseren belehrt, ging er zu weit. Die Lektion war ihm nicht von Nutzen wenn sie vorüber war denn bei der Räumung kannten die Jerodar kein Mitleid.
Fin ging es nichts an und sie hatte besseres zu tun als sich über die Übermütigen Gedanken zu machen.
Sie war so wütend, dass sie sich voller trotzigem Ehrgeiz über ihre Hausaufgabe hermachte. Jedes vernünftige Kind hätte vielleicht anders gehandelt und, was getan werden musste mit Verwünschungen in den Wind geschossen. Ihr blieben nur die Verwünschungen und einige Bücher die sie aus dem Rosenhaus, das Haus Fabramas, geliehen hatte. Es waren kluge Bücher, wie Fin sie nannte, über Menschen, deren Tun und Lassen, Gefühle und Verstand, und sie verstand nicht die Hälfte des Geschriebenen.
Anfangs schien ihr die Aufgabe nicht schwer zu sein. Gemein, bedenkt man ihre Situation, aber leicht zu verstehen. Jemehr sie jedoch über eine ausgeklügelte Interpretation, und feinen Wortlaut nachdachte, je mehr Ideen dazu kamen ihr in den Sinn. Gedankengänge, die sie nur schwer in Worte fassen konnte. Mehrmals setzte sie die Feder an und schrieb ein wenig hiervon und davon, was für den Beginn nicht schlecht klangen, jedoch weder ausdrücke, noch darauf hinauslaufen wollte was sie dachte.
Sie drückte den Korken fest auf das kleine Tintenglas, rollte sich auf ihrem Bett auf den Rücken und starrte an die Decke. Vor ihrer Kammer eilten ein paar Füße den Gang hinauf. Es ist stiller geworden und sie hörte, wie sich die Warnrufe in wüste Beschimpfungen gewandelt haben. Auch ein üblicher Vorgang nach der Räumung, dachte sie sich trocken. Die Diebe wussten von alldem was Oben geschah und nicht unmittelbar mit Reichtum, konlirscher Politik oder Anschläge auf die Gilde zutun hatte nichts. Zwar hatte das Oberhaupt seine Informanten, jedoch ließ er keine Gerüchte zu sich kommen die ihn nichts angingen und diese Einstellung gab er jedem weiter, der seinen Rat hören wollte. Fin erinnerte sich, wie er sie vor einigen Monaten in seiner Höhle, in seinem Clan willkommen geheißen hatte. >>Misch dich nicht in die großen Angelegenheiten der Menschen, wenn du es hier zu etwas bringen willst. Du bist nun ein Dieb, und alles was zählt sind die ungesprochenen Regeln.<< Und das waren einige. Im Sammelschacht, der Höhle vor der ersten Wohnebene, waren sie eingemeißelt und riefen insgesamt jedem Jerodar ins Gedächtnis, dass er tun und lassen konnte was er wollte solang er dem Clan nicht schadet. Einst ging Fin staunend an den Wänden entlang die sich nach obenhin zu einer unregelmäßigen Kuppel formten. Die ganze Höhle war in Sandstein geschlagen und sie hatte sich gefragt, wie nah sie an Hewien, der Felslandschafft, lag. Es muss ein Künstler gewesen sein, der die Worte an die Wand brachte. Vielleicht einer von jenen Gestalten aus Konlir, die es mit ihrem Handwerk nicht einmal auf ein Brot am Tag brachten obwohl seine Ideen gut, und sein Können nicht ganz dem Wunschdenken entsprungen war. Gerade diese Leute waren es, die der Anführer für seine "Außenarbeit" benötigte. Sie waren bekannt, jedoch unauffällig genug um den Reichen nicht in die Quere zu kommen und keiner wunderte sich, wenn so eine arme Existenz nach dem neusten Klatsch der Wohlhabenden fragte.
Ihr Vorhang wurde zur Seite geschoben und sie sammelte wieder ihre Gedanken. >>Alles in Ordnung, Kleine?<< brummte ihr die Silluette eines Riesen entgegen. >>Bis hier her kam keiner. Es ging wieder laut zu.<< Fin richtete sich auf und schlang die Arme um die Knie. >>Gibt es was zu tun, Bragoth?<<
Er warf einen Blick auf den Bücherstapel neben Fins Bett. Im Schein ihres Kopierlichts konnte sie sehen, wie er die Mundwinkel verzog, schließlich schüttelte er den Kopf. >>Komm grad vom Anführer. Er ist nicht glücklich über den Eindringling, schon der zweite in einer Woche. Wann warst du das letzte mal Oben?<<
Fin zuckte mit den Schultern und bemühte sich, nicht schwermütig zu klingen. >>Gestern. Zum Abend hin. Der Bäcker hat seiner Tochter ein Armband geschenkt. So, wie sie damit angegeben hat, war es bestimmt nur aus Ingerium.<<
Der Große Mann grinste. >>Das hättest du Jakk sagen sollen. Er ist seit heute Morgen um einen Metalklumpen reicher. Was machen die Kurse?<<
Sie sah schuldbewusst auf. >>Sie gehen auf und ab, Herr. Wer Anteil am Goldhaus hat, ist ein reicher Mann.<< Nun lachte Bargoth >>Anteil haben wir auch so, Kleine. Aber sag mal, was hast du denn dort verloren? Du hast doch mit keinem über die Höhlen gesprochen, ja?<< Sie wollte erwidern, dass es noch andere, wichtigerer Dinge als die Höhlen der Diebe gab, verkniff es sich jedoch. >>Nein, Herr. Ihr wisst, dass ich zugern hier bin als, dass ich irgendwelche Tunichtgute anlocken würde.<<
Wieder grinste er, sichtlich zufrieden. >>Nimm\s mir nicht übel, ich musste fragen. Es ist auch wirklich alles in Ordnung?<<
>>Jaha,<< entgegnete sie und verdrehte übertrieben die Augen. >>Fragt ihr noch einmal, muss ich mich wohl krank fühlen um euch einen Gefallen zu tun.<<
Er teilte ihr den Posten für jenen Abend zu -oberste Höhle, Wachposten und Ablenkungsmanöver- und ließ sie wieder mit sich allein. Bargoth war der rechte Arm des Anführers und es wunderte sie sehr, dass er zu ihr gekommen war. Er war immer freundlich und lachte auch über den schlechtesten Witz aber es kam selten vor, dass er in die Wohnebenen kam um sich nach dem Rechten zu erkundigen. Ob man sie im Verdacht hatte, sie würde die Gilde verraten? Die meisten Diebe verbrachten ihr Leben außschlichlich dort unten und es war nur den Informanten gegönnt ihren Wohnsitz in einer der Städten zu haben. Wer so ein und ausging war schnell im Verdacht gegen die Jerodar zu arbeiten besonders dann, wenn er keine Beute nachhause brachte. Sie nahm sich vor, nach ihren Unterrichtsstunden noch hübsche Sachen für die Gilde aufzuspüren und widmete sich dann wieder ihrem eigentlichen Problem.
>>Misch dich nicht in die großen Angelegenheiten der Menschen, wenn du es hier zu etwas bringen willst.<< murmelte sie und schnaubte schließlich. >>Ich muss ja! Sonst kommt der Schatten auch zu euch, ihr alten Diebe.<< sie hiefte ein dickes Buch auf ihr Bett und schlug es auf. >>Aber das könnt ihr ja nicht wissen, also denkt ihr natürlich auch nicht darüber nach.<< sie las willkürlich ein paar Zeilen, blinzelte und las noch einmal.
"Und als der Tischler Hubstenude dem Grafen das Gewand vorführte, lachte jener schallend auf und meinte, auf die Schulterpolster je ein Glas vom besten Weine, und hinge man um das bessere Tischbein, das Hubstenude ihm als Rock andrehte, Festgirlanden, wollt er es als Zierde für den Garten und nicht so an seinem Weib. Der Tischler wart erblasst und sah das schöne Gold für jenes Ausschreiben "Das Schönste an des Grafen Gattin" in die Hände des Bäckers gehen, der ein Schinkenbrot gebucken und dafür erst vom ganzen Hof verlacht gewesen wart."
Es war nicht ganz das, wonach das Mädchen gesucht hatte aber sie konnte damit arbeiten. Immerhin musste sie sich mit dieser Geschichte nicht an die eigene Nase fassen und das kam ihr nur zu gute. Nur war es noch immer nicht geklärt, was es mit der Wahrheit auf sich hatte. Was, wenn dieser Künstler, der in den Sammelschacht einst die Regeln der Gilde eingemeißelt hatte gar nicht gewusst hätte, dass er so etwas kann? Was, wenn er stattdessen Schreiber des konlirschen Bürgermeisters geworden wäre ohne je Hunger leiden zumüssen, wäre er dann zu den Dieben gekommen und hätte je einer die ungesprochenen Regeln lesen können? Würde der Anführer des Jerodar noch in der Höhle hocken wenn er wüsste, was draußen wirklich geschah? Und wenn er es doch wusste, drehte er dann nicht nur der Wahrheit jener den Rücken zu, die es unmittelbar betraf?
Fin sprang auf und ging vor ihrem Bett auf und ab. Sie konnte alle Formeln aufsagen, die sie in Thurimbar je lernen musste. Im Gegensatz zu ihrem Bruder war sie der Stolz der Lehrer gewesen und stets hatte sie ihr Onkel gelobt, was für ein gescheites Kind sie war. Nun kam sie sich gar nicht gescheit vor und sie wusste, ihr verschrobener Onkel hätte für diese Aufgabe auch keine Lösung.
>>Wer absichtlich der Wahrheit den Rücken zukehrt verrät sich selbst<< murmelte sie und tippe sich mit dem Finger gegen die Unterlippe. >>Verrät sich selbst... also gilt es nur, wenn die Wahrheit auch mit ihm zu tun hat!<< sie legte wieder Tintenglas und Schreibpapier auf ihr Bett, kniete sich davor und schrieb eilig etwas nieder als fürchtete sie, sie würde die Worte jeden Moment wieder vergessen. Mit vor Konzentration gekrauster Stirn und einer Haarsträhne zwischen den Zähnen nuschelte sie sich vor was schreiben wollte um den Klang der Worte auszukosten.
>>..jene leugnet, schadet man nicht nur Wahrheit sondern auch...<<
>>Ich schade dir gleich, wenn du nicht aufhörst mit diesem Gelehrtengeschwafel.<<
Fin fuhr zusammen und stoß mit dem Ellenbogen das Tintenglas vom Bett
>>Schiefmaul! Hier ist doch nicht die Post, dass jeder ein und ausgehen kann wie er will! Raus mit dir!<<
>>Ich wollt doch nur...<<
>>Raus!<<
Der Junge, dessen verzogener Mund ihm seinen Namen gab, grinste an Fin hinab und deutete auf ihre Schürze. >>Du hast da was..<< Er ließ den Vorhang schnell fallen als sie nach dem leeren Tintenglas griff und trampelte davon.
Die Tintenspritzer auf ihrer Schürze waren nichts gegen die großen, sich weiter ausbreitenden Flecken auf ihrem Papierbogen und der blauen Lache vor ihrem Bett die dem Bücherstapel gefährlich nah kam. Seufzend ging sie in die Hocke und begann mit der Bergungsmaßnahme und lange sagte sie sich vor, Vergebung hat etwas magisches.