Stered Wegilt

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vnv_nation
Feuervogel
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Stered Wegilt

Beitrag von vnv_nation » 8. Aug 2005, 10:34

Eine Geschichte, genauer ein Anfang, die/der mal nichts mit einem Spielercharakter zu tun hat, sondern einfach einem Gedanken entsprungen ist. .oO(Und der Lust mal wieder etwas zu schreiben...) Bekanntermassen ist es länger als manch anderes, kurzfassen und so, naja, egal ;)

Stered Wegilt

- Kapitel 1 -

Schiffbruch

Die Sonne nahte sich dem Gipfel des Fermalinus, des Großen und Schönen, und bald sollte sie hinter ihm versinken, doch zuvor tauchte sie das Land umher in rotgoldenes Licht. Ich lag an einem Hang des Vorgebirges und sah hinab auf mein Dorf dort unten im Tale von Konlir. Nicht weit von mir entfernt spielte ein kleines, blondes Mädchen im Knie hohen Gras. Jala, so hatte ich sie genannt, als ich sie vor wenigen Monaten am Brunnen vor den Toren des Dorfes, nahe der Waffenkammer, fand. Tränen rannen ihre Wangen hinunter, doch, sie wußte nicht einmal, warum sie weinte, nur, dass sie sehr traurig war. Ich kannte das Mädchen nicht. Nun, vielleicht kannte ich sie, doch ich wußte es nicht mehr. Mit viel Mühe war es mir gelungen meinen Namen nicht zu vergessen. Doch irgendetwas an diesem Kind weckte mein Herz. Eine seltsame Vertrautheit und sie spürte diese auch. Vielleicht kannten wir uns bevor der Stein auftauchte, waren Nachbarn oder sogar verwandt, nun, wir werden es nie mehr ergründen können. Denoch nahm ich sie bei der Hand und führte sie in das Haus in welchem ich an jenem seltsamen Morgen, da der Felsen auftauchte, erwacht war. Jala fühlte sich schnell wohl und auch ihr Zimmer, ein kleiner Raum mit einem zierlichen Bett, einigen Möbeln und wenig Spielzeug, gefiel ihr. Er passte zu ihr. Oft gingen wir Abends, kurz vor Sonnenuntergang gemeinsam spazieren, meist hier hinauf, an die Hänge des Berges, von welchem ein alter Mann in einer nachtblauen Robe gesagt hatte, dass er einst Fermalinus hieß. Dieser seltsame Alte war wohl ein Zauberer und längere Zeit auf dem Grünweg unterwegs. Es war eine anstrengende Begegnung, denn er berichtete von Ländern Jenseits des westlichen Waldes. Selbst die meisten Erwachsenen hatten mit offenen Mündern dagesessen. Der graue Stein hatte viel Unheil angerichtet und so manchem war es schlimmer ergangen. Ich glaube, auch meinen Eltern, denn, ich konnte sie nicht finden, doch, wie sollte mir das auch gelingen? Ich wußte, dass ich einen Vater und eine Mutter hatte, und wenn ich, so wie an diesem Abend auf dem Wiesenhang, an sie dachte, dann fühlte ich mich merkwürdig leer und etwas stach in mein Herz. Allerdings, dies war alles, was sich in mir regte, mehr nicht. Es tauchte kein Bild auf, kein Name, keine Stimme, nur dieses unbestimmte Gefühl der Leere. Viele, die nun durch unser Dorf wanderten berichteten davon. Manche fanden einander wieder, andere, die mutiger waren als ich, wagten sich hinunter in den Süden, in ein Land namens Reikan oder ein anderes namens Nawor, mancher ging nach Osten, hinüber nach Terbat, oder nach Westen, in eine Reich jenseits eines Feuer speienden Berges, welches Gobos heißen soll. Einige dieser, jene, die lebend zurückkehrten, sagten, dass im Süden das Grauen herrscht. Mehr bekamm man oft aus ihnen nicht heraus. Sie waren wie tot, wenn sie zurückkamen. Ihre Augen blieben starr und leer, wenn sie berichteten. Schreckliches mussten sie gesehen haben. Wenn nur die Hälfte von dem wahr gewesen sein sollte, was ein anderer, jüngerer Mann in einer glänzenden Rüstung erzählte, dann tobte im Süden und Westen ein Krieg. Er hatte gesagt, er sei ein Soldat und suche Männer für den Kampf. Nun, suchte war wohl falsch, denn einige, die nicht folgen wollten, zwang er. Auch bei mir hatte er es mit vorgehaltenem Schwert versucht, doch Jala hatte mich gerettet. Sie fing an zu weinen und klammerte sich an meinen linken Arm. Irgendwo musste in diesem Krieger ein Herz wohnen, denn er schien zu erkennen, dass ich der Einzige war, den Jala nun noch hatte. Er zog aus und die Einige der Wenigen, welche ihn begleiteten, sahen wir jemals wieder. Irgendetwas in den Augen der Zurückkehrenden sagte mir, dass sie ein grausames Ende gefunden haben mussten. Langsam wuchs in mir der Wunsch auch hinauszuziehen, doch vorerst war da Jala. Ich sah ihr bei ihrem Spiel zu. Sie jagte Schmetterlinge und Libellen. Sie sprang über verdutzte Schafe und versuchte die Hasen zu fangen. Wind trieb aus dem Süden heran und das hohe Gras wogte hin und her, wie das bittere Wasser unten im Teich. Ich schloss die Augen, hörte Jalas Jauchzen, dass plötzlich fern und wie ein Krächzen klang. Der süße Duft der Blumen um mich wurde unerträglich und Verwesung mischte sich hinein. Irgendetwas umspülte meine Beine und der Boden, eben noch weich und angenehm war nun grob und kalt. Ich öffnete die Augen.

Eingehüllt von Dunkelheit lag ich auf grobem Geröll. Kaltes Wasser ergoß sich Welle um Welle auf meine Füße. Um mich herum lagen Holzstücke, große und kleine. Ich wollte nach Jala rufen, doch mein Nacken schmerzte und die Brust brannte. Ich versuchte mich auf die linke Seite zu drehen, doch ein Stechen in meinem Arm zwang mich zur Aufgabe. Ich blieb liegen und versuchte mich zu erinnern, doch kein Bild konnte ich aufrufen. Wo war ich?. Ich nahm all meinen Mut und meine Kraft zusammen und rollte mich auf die rechte Seite. Mein linker Arm stach immer noch heftig, doch, ohne die Last meines Körpers, war dieser Schmerz erträglich. Ein stummer Schrei entglitt mir, als ich in das aufgedunsene Gesicht eines Toten sah, der mit offenem Mund neben mir lag, sein Hals merkwürdig verrenkt. Ich drehte meinen Kopf ein wenig, doch viel weiter ließ mich das spärliche Licht nicht blicken. Also versuchte ich mich auf den Bauch zu rollen. Ein stechender Schmerz durchfuhr meine Brust. Da war wohl Einiges zu Bruch gegangen. Trotzdem, ich musste weg von diesem Wasser. Aus irgendeinem Grund wußte ich, dass es gefährlich wäre, noch länger hier zu liegen. Mühsam robbte ich, vorwärts, tiefer in das Dunkel. Ab und an berührte ich etwas Weiches, ich wußte was es war, doch nie gab es eine Antwort. Ich hatte keine Ahnung, wie weit ich so in diese Höhle kroch, nur, dass ich erst inne hielt, als ich glaubte eine gute Entfernung zum Wasser zu haben. Dann schloss ich müde die Augen und hoffte, dass ich mich im Dunkel auf der Wiese wiederfinden würde, Jalas Kopf auf meiner Brust, friedlich schlafend. So, als wäre dies hier nur ein böser Traum, aus den tiefen meiner Ängste.
Ein Krächzen weckte mich, wohl kurz nach Sonnenaufgang, denn die Tiefe der Höhle, in welcher ich lag konnte ich noch nicht schätzen. Wasser lief beinahe wieder bis an meine Füße ans heran. Ich stand mit viel Mühe und unter großen Schmerzen auf. Mein linker Arm brannte und hing nutzlos herab. Drei Leichen lagen in meiner nähe, ein wenig weiter konnte ich zwei weitere entdecken. Einige Kisten und viele größere, wie kleinere Holztrümmer waren um mich verteilt. Ich ging zur nahesten dieser Holzkisten und setzten mich, da mich ein Gefühl der Übelkeit überkam, die Höhle fing an sich zu drehen. Ich schloß die Augen und öffnete sie erst wieder, als dieses Unwohlsein vorrüber war. Vorsichtig betastete ich meinen linken Arm. Kein Knochen rakte hervor, obwohl ich feststellen konnte, dass der Arm zweifellos gebrochen war. Langsam bückte ich mich und zog mit meiner rechten Hand einen der Umhänge einer der Leichen zu mir. An einigen Stellen konnte ich Brandlöcher entdecken. Ich sah mir ein paar der Holzteile in meiner Nähe an, aus sie wiesen Brandspuren auf. Ich zog eines dieser Teile zu mir und riß ein schmales, langes Stück des Umhangs ab. Ich konnte den Schrei nicht unterdrücken, als ich den Arm auf das Brett, welches ich auf meine Knie gezogen hatte, legte und ihn streckte, so das die Bruchstellen des Knochens einigermassen gerichtet aufeinanderlagen. Ich nahm eilig ein zweite, schmaleres und ein wenig kürzeres Brett und wickelte den Stofffetzen so fest es ging, und das gerade noch Blut durch die Adern meines linken Armes ran, darum. Dann betastete ich meinen Brustkorb. Ich hatte richtig geraten, zwei Rippen schienen gebrochen zu sein, doch, für diese konnte ich im Moment nichts tun. Langsam erhob ich mich, ging die Leichen ab und erkannte zwei von ihnen. Einer hieß Erjan Barunfeld, der andere Harjald Mitsonn. Als ich das Gesicht des Letzteren erkannte, fluteten die Erinnerung zurück. Er war der Maat des Schiffes, auf welchem ich angeheuert hatte.
Ein alter Mann war eines Tages in unserem Dorf aufgetaucht und hatte berichtet, dass er eine Expedition plante. Er hatte viele Gerüchte gehört und fand einige davon bei uns bestätigt. Ein Mann, der vor wenigen Wochen mehr tot als lebendig aufgetaucht war, hatte erzählt, dass im Nordwesten eine Gegend namens Urdanien läge und nördlich davon ein großes, rauhes Wasser. Im Osten waren einige Reisende auf ein Gebiet, dass sie Kuridan genannt hatten gestoßen, eine Steppenlandschaft, die im Südosten wieder an ein Meer, so behaupteten sie, stieß. Nun hatte der alte Mann, Rorald Hirtenfels, beschlossen, einen Weg zwischen beiden Ländern zu finden. Wochenlang hatten wir Bäume im Wald des einsamen Baumes gefällt und über den erweiterten Grünweg, durch Konlir und Terbat, nach Kuridan geschleppt. Weitere Monate vergingen, in denen wir das Schiff nach alten Plänen aus den tiefen der dunklen Festung der Schwarzmagier gerettet, gebaut hatten. Nur selten hatte ich Jala nun gesehen, doch, sie war in guten Händen. Am Abend jenes Tages, von dem ich eben geträumt, trafen wir einen gebeugten Mann und eine ergraute Frau vor der Tür unseres Hauses. Sie stritten sich, er behauptete das Haus zu kennen, sie meinte, das nebenliegende wäre ihrs gewesen. Doch sicher war nur eins, in Jalas und meinem Herzen keimte eine Erinnerung, eine freudige, als wir sie sahen. Sie teilten dieses Gefühl und so baten wir sie, mit uns zu leben. Das Haus war nun von Lachen erfüllt und, so schwer es mir zu sagen fiel, auch das Essen wurde besser, denn meine Kochkünste waren eher mager. Die beiden, wir nannten sie nun Großvater und Großmutter, nahmen sich Jalas an und sorgten für sie, denn, sie hatten schnell herausgefunden, dass ich nicht für immer fernab der Welt leben konnte und wollte. Jala hatte sehr geweint, als ich ging, und ich musste mir eingestehen, dass auch ich die Trennung von ihr nur schwer verkraftete. Allerdings, auch sie wollte, nun, da wir fast zwei Jahre beieinander gelebt hatten, wissen, was in der Welt vorging. Der Krieg schien immer noch zu toben und einmal hatten sich aus Nawor Sandmänner und Sandfrauen eingeschlichen und unsere Viehherden gestochen, einige Menschen vom Südwestrand des Dorfes erschlagen und die Kathedrale geschändet. Wir wußten, alle vier, das unsere Sicherheit dahin war. Jalas blaue Augen waren riesig geworden, als ich ihr sagte, dass sie und die Großeltern mit mir zum Auslaufen unseres Schiffes kommen konnten, noch größer, als sie es sah. Sie leuchteten vor Stolz auf mich, als ich an Bord ging, die Segel gerefft wurden und wir aus dem Hafen glitten. Lang muss sie noch am Kai gestanden haben, denn die ganze Zeit, die ich am Heck des Schiffes stand, konnte ich ihr goldenes Haar im Wind wehen sehen. Vielleicht hatte ich mir das auch nur gewünscht, vielleicht hatte ich es auch nur sehen wollen, doch, es beruhigte auf der langen Fahrt und ich hoffte, schon in dem Moment, da die Reise began, dass sie schnell und glücklich enden möge, dass wir einen Weg und ein sichereres Land fanden, eines, in dem Jala ohne Kriegsgefahr groß werden konnte.
Nun saß ich hier. Das Auslaufen des Schiffes vor Augen und Jalas kleines, rundes Gesicht.
Vier Tage nach dem wir zu unserer Reise aufgebrochen waren, hatte der Wind plötzlich aufgehört zu wehen. Im Osten sahen wir, wie sich riesige Wolkentürme formierten. Das Schiff stand auf der Stelle, keine Welle regte sich um uns. Der alte Mann, der uns zu dieser Fahrt verleihtet hatte, sah besorgt zu diesen gigantischen Wolkenfestungen. Ich glaubte Zweifel in seiner Stimme zu hören, ich sah die Angst in seinen Augen. Als ich ihn fragte, ob er wisse, was all dies zu bedeuten hätte, antwortete er mir, dass ich das nur all zu früh erführe.
Langsam tastete ich den Körper des toten Maats, Harjald Mitsonn, ab, ich fand einen gebogenen Dolch und zwei kleine Fläschchen mit einer bläuliche Flüssigkeit. Vorsichtg entkorkte ich eins und roch daran. Ein Gefühl, als hätte ich ein heißes Bad genommen breitete sich in mir aus. Ich fühlte mich kräftiger als zuvor und die restliche Übelkeit und auch das Schwindelgefühl verschwand. Ich nahm all meinen Mut zusammen und untersuchte auch die übrigen Leichen. Bei zweien fand ich ein wenig Gold und bei einer dritten ein seltsame Pergament, dass ich jedoch nicht lesen konnte. Ich sah mich noch ein wenig in der Höhle um und entdeckte einen Tornister. Leider war einer der Tragriemen zerrissen, doch, ich konnte ihn mit einem der Gürtel der Toten ersetzen. Das Wasser war zurückgegangen, so das ich eilends alles, was ich gefunden hatte in meinem Rucksack verstaute und mich schnell aus der Höhle begab.
Ich blickte auf einen langen weiß - gelben Strand der gut hundert Meter im Umkreis mit Trümmern unseres Schiffes übersäat war. Viele aufgedunsene Leichen lagen herum, ich schien der einzige Überlebende zu sein. Mir war nicht wohl dabei, doch mir blieb nichts anderes übrig, als die Leichen zu durchsuchen. Noch vier weitere kamen mir bekannt vor. Zwei hatte ich in Kuridan kennengelernt, Jarad Armeren und Lorik Lowenstein, und zwei waren schon seit den Tagen des Bäume fällens in unserer Gruppe, Harman Mirtner und Gerjan Scharmut. Ich hockte mich neben den toten Körper von Harman, er lag verdreht am Strand, seine Beine, sein Hals, seine Arme, ich vermute all seine Knochen waren gebrochen. Manche standen aus der Haut hervor. Um ihn dauerte es mich am meisten. Er war der fröhlichste von uns, der, der immer ein aufmunterndes Wort hatte, noch schlimmer, er hatte eine Familie, so wie ich, nur mit eigenen Kindern und einer Frau, deren Großeltern. Viele von waren neidisch gewesen und mancher hatte gesagt, dass wäre zu viel Glück in diesen dunklen Tagen. Ich nahm das Amulett von seinem Hals und wußte, dass ich es seiner Frau bringen musste, auch wenn das hieß, dass ich von nun an sehr viel Leid eines anderen Menschen mit mir zu tragen hätte. Seine Tochte Doria hatte gleich neben Jala gestanden. Ein ebenso aufgewecktes Mädchen, wie meine Schwester, mit langen schwarzen Haaren und tiefbraunen Augen. Ihr Bruder, Jorik war erst zwei Jahre alt. Erschrocken stellte ich fest, dass ich insgeheim dankbar war, dass er hier lag und nicht ich, dass es nicht Jala war, die nur ein Amulett wiederbekam und in diesem Schock fing ich hemmungslos zu weinen an.

Die Wolken hatten sich am Schiff vorbeigeschlichen, endlos lange Zeit. Der alte Mann hatte die ganze Zeit zugesehen. Stunden waren vergangen und die Sonne sank im Westen. Da setzte der Wind wieder ein und schneller und schneller trieb es unser Schiff voran, die Segel weit gebläht.
Ein Grollen kam nun aus dem Nordosten, dumpf und drohend. Blitze zuckten über den Himmel und der Wind nahm zu. Der Kapitän hatte das Reffen der Segel befohlen und die Mannschaft war in die Wanden geeilt um den Befehl auszuführen. Da schlug der erste Blitz Mitschiffs ein, kurz danach traf ein zweiter den Vormast. Der krachend zerbarst. Der alte Mann wurde von der Wucht des Einschlags und des Berstens quer übers Schiff geschleudert. Ich eilte zu ihm, half ihm sich wieder aufzurichten. Kaum waren wir beide wieder auf den Beinen, brach der Sturm los. Nur mit Mühe konnte ich ihn zu den Kajüten bringen, mehr Kraft kostete das Schließen der Tür. Wir sahen nichts, wir hörten nur. Befehle, Kommandos und dann Schreie. Endlos lang, Schreie der Qual, des Entsetzens, der Schmerzen. Wir hielten es nicht mehr aus, wir wollten helfen. Wir eilten aufs Deck, manch einer sicher nicht nur um zu helfen, sondern vor allem um der Übelkeit, welche der hohe Seegang auslöste zu entkommen. Ein furchtbares Bild bot sich uns. Der Hauptmast war gefallen, mehrere Matrosen lagen tot, viele eingeklemmt unter dem schweren Baumstamm, der einst die größten Segel, die nun zerfetzt herumschlugen, getragen hatte. Wir rannten zu ihnen, wollten helfen. Mehrere Burschen versuchten den Stamm zu heben. Es gelang ihnen immer für wenige Augenblicke und so konnten wir wenige der Eingeklemmten befreien. Doch dies alles waren nur Vorboten dessen, was uns noch erwartete. Die Wellen schlugen Meter hoch, viele überspülten das Deck und wer sich nicht an einem Tau halten konnte, wurde fortgerissen. Plötzlich war wieder alles still. Um uns raste und tobte der Sturm, über uns standen die Sterne am Himmel. Die Augen des alten Mannes weiteten sich und ich wußte, dass er eine Ahnung hatte, dass die Nacht noch schrecklicher werden musste. Wir beeilten uns die Verletzten zu bergen. Die Toten, bis auf den Kapitän, dem der Hauptmast den Schädel gespalten hatte, ließen wir liegen. Kaum hatten wir diese Arbeiten beendet und versuchten gerade ein wenig Ordnung an Deck zu schaffen, Harjald Mitsonn hatte das Kommando übernommen, da erklang ein spitzer, heißerer Schrei vom Heck, der nicht enden wollte. Der Alte stand neben dem Steuermann und seine rechte Hand zeige zum Bug. Krachend schlugen die Blitze erneut ein. Jeder Zentimeter des Schiffes wurde getroffen. Die Luft über diesen Stellen schien sich zu verflüssigen und tropfte träge nach unten. Viele schrieen in Qualen, manche verschwanden einfach, als ein Blitz durch sie fuhr. Ich stürzte auf die Brücke um den Alten dort wegzuholen, als ein Krachen und Splittern hinter mir, mich herumfahren ließ. Dann traf mich ein Holzstück an der Brust und eine Welle riß mich von den Beinen. Unsanft schlug ich auf dem Deck auf. Ich griff nach einem der Taue und verfehlte es. Als nächstes spürte ich, wie ich hin und hergeworfen wurde und sich das kalte Wasser über mir schloß... Dann erwachte ich in der Höhle, die ich gerade verlassen hatte.

Ich lief etwa eine Stunde an diesem Strand auf und ab. Ich suchte etwas, ich wußte nicht genau was, oder wen, nur, dass ich dies erst finden musste, bevor ich den Strand verlassen konnte. Viele der Toten hatten schwere Verletzungen, andere nicht eine einzige. Bei mehreren dachte ich, sie würden nur schlafen, doch, sie erwachten nicht, wenn ich sie schüttelte. Dann lenkte etwas Glitzerndes meine Blicke auf sich, ich hatte gefunden, was ich suchte. Ein Stab steckte im Sand und daneben, in nachtblauer Robe lag der alte Mann. Ich kniete mich neben ihn und zu meiner Überraschung stellte ich fest, dass er noch atmete. Er schnarchte sogar. Völlig aus der Fassung geraten, setzte ich mich neben ihn und fing an zu lachen. Ihn schien das nicht zu stören, denn rhythmisch hob und senkte sich sein Brust und erklang sein Schnarchen über den Strand. Jetzt da ich hier saß, fragte ich mich, wieso ich ihn nicht schon eher bemerkt hatte, aber, ich vermutete, dass das Rauschen der Wellen ihn in einiger Entfernung doch übertönte. Vorsichtig tippte ich seine Schulter an und er wischte meinen Finger wie ein lästiges Insekt weg. Ich griff seine linke Schulter mit meiner rechten Hand und rüttelte an ihr. ”DIEBE, MÖRDER!”œ schrie er und ich viel rückwärts in den Sand. Er hob seine Oberkörper, setzte sich aufrecht hin und sah mich an.
”Wie siehst du denn aus?”œ fragte er mich vollkommen ruhig und gelassen. Ich wußte nicht, was ich darauf antworten sollte.
”Hat es dir die Sprache verschlagen? Wo sind wir? Und warum lieg ich im Sand?”œ
Immer noch konnte ich nichts sagen und mein Mund schnappte auf und zu.
”Denkst du, du wärst ein Fisch?”œ
”Nein, was, wissen Sie nicht mehr, was geschehen ist?”œ fragte ich ihn nun.
”Na ich hoffe doch, dass wir angekommen sind,”œ erwiderte er vollkommen trocken.
”In gewisser Weise stimmt das, nur, ich bezweifle, dass wir da sind, wo wir sein sollten und, dass die Ankunft so geplant war.”œ Etwas anderes fiel mir nicht ein, noch immer war ich wegen der Fragen des Alten verwirrt.
”Hmmm. Wo sind wir denn?”œ
”Ich weiß es nicht. Unser Schiff -”œ
”Wo ist denn der Kapitän, mein Junge?”œ wollte er nun wissen.
”Tot. Wie alle anderen auch, außer uns beiden.”œ
Sein Gesicht wurde ernst. Er sah mich lange an, dann ließ er seinen Blick über den Strand schweifen, doch seine Augen verrieten nicht, was in ihm vorging.
”Dann würde ich denken, dass wir ziemliches Glück gehabt haben,”œ sagte er plötzlich mit leicht zitternder Stimme. ”Bedauerlich die ganzen Toten,”œ fuhr er mit leiser Stimme fort, doch mir riß nun der Geduldsfaden und ich schrie ihn an. Ich ließ meine ganze Wut und Trauer an ihm aus.
Er ertrug all dies und sah mich dann ernst an. ”Meinst du, dein Geschrei bringt irgendetwas, oder nutzt denen da? Spar deine Kraft, hilf mir auf, wir müssen herausfinden, wo wir sind. Ich brauch meine Kiste, da sind die Karten drin. Eine kleine braune.”œ sagte er und seine Stimme ließ keine Widerrede zu. Also erhob ich mich und ging zurück zu der Stelle, wo ich Harman gefunden hatte, denn so glaubte ich, dort war mir ein Kistchen, auf welches die Beschreibung passte, aufgefallen.

Als ich zurückkam, saß der Alte immer noch da, wo ich ihn verlassen hatte, doch sein Gesicht war zwischen seinen Händen vergraben. Ich stolperte absichtlich über ein Stück Holz. Er sprang auf, wischte sich mit dem Handrücken über die Augen und wandt sich dann zu mir um.
”Genau die Kiste hab ich gemeint. Hmmm, der Schlüssel. Wo hab ich jetzt wieder den Schlüssel hingesteckt?”œ
Er sprach noch eine Weile mit sich selbst und klopfte dabei seine Robe an vielen Stellen ab.
”Ah, da haben wir ihn,”œ sagte er endlich und kam zu mir um die Kiste zu öffnen. Er nahm zwei Pergamentrollen heraus und gab mir eine dritte.
”Lies das mal laut vor,”œ wies er mich an.
”Haraband arlafet ursapur arenjal derak,”œ sagte ich.
”Ach, du bist kein Zauberer. Hmmm, gib mal her,”œ und nahm mir die Rolle weg. Kaum das er die Worte vorgelesen hatte, breitete sich um ihn ein blaues Licht aus. Er legte seine Hand auf meinen gebrochenen Arm, berührte dann meinen Brustkorb und das Glühen verlosch. Der Schmerz in meinem Arm war verschwunden und auch das Stechen in meiner Brust.
”Heilzauber,”œ sagte er mit einem Lächeln, ”sehr praktisch und nützlich. Schade, dass wir nur einen haben. Naja, müssen wir beim Klettern ein wenig auf uns aufpassen.”œ
Ich sah ihn fragend an.
”Na dort, der Berg, da müssen wir rauf, wenn wir erfahren wollen, wo wir sind. Ich würde ja sagen Lardikia, aber, ich kann mich irren,”œ beantwortete er meinen Blick, ”Hast du ein Schwert oder eine Axt?”œ
”Nein, nur einen Dolch,”œ antwortete ich.
”Nun, das muss reichen, wir haben keine Zeit jetzt weiter zu suchen, bald setzt die Flut wieder ein und da sollten wir ein ganzes Stück weiter sein,”œ sprachs und ging ohne ein weiteres Wort die leichte Steigung vom Strand hin zum Landesinneren hinauf. Ich folgte ihm wortlos und warf noch einmal einen Blick auf die Überreste des Schiffes und auf die toten Matrosen und Angehörigen der Expeditionsgruppe. Er lief schnell für einen Mann seines Alters, selbst durch den Sand und nur mit Mühe konnte ich ihn einholen. Als ich so neben ihm lief, sagte er plötzlich: ”Wie lang willst du eigentlich noch den Balast im Arm halten und an deinem anderen tragen? Wirf die Kiste weg, die brauchen wir nicht mehr und das komische Holz da ist auch nicht mehr nötig.”œ
Also ließ ich, wortlos, die Kiste in den Sand fallen und, während ich versuchte mit ihm Schritt zu halten, entfernte ich die Schiene von meinem linken Arm. Ich bewegte ihn vorsichtig, weil ich mir nicht ganz sicher war, ob er auch in Ordnung sei, doch, er erwies sich als völlig gesund. Ohne ein weiteres Wort gingen wir, als wir den Strand hinter uns gelassen hatten, geradewegs in den Wald. Seltsame Formen hatten die Bäume hier. Riesige Blätter an den Kronen, aber kahle Stämme. Komische Tiere sprangen in ihnen hin und her. Affen nannte der Alte sie und warnte mich zu gleich vor den Blattalisken, welche wohl auf den größeren, dieser merkwürdigen Bäume leben würden. Ich fragte mich, woher der alte Mann das alles wußte, doch getraute ich mich vorerst nicht noch mehr zu fragen. Vielleicht hatte ich dies alles einst auch gewußt und nur wegen des Steins vergessen. Sicher war nur, dass ich bisher keinen dieser Bäume oder dieser Affen in Konlir gesehen hatte.

Die Dämmerung setzte bald danach ein und der Alte began trockenes Holz vom Boden aufzusammeln. Ich tat es ihm nach, obgleich ich mir nicht sicher war, ob ich das sollte, da er jedoch nicht sagte, schien es richtig zu sein. Kaum das die Sonne die längsten Schatten in diesem Wald warf, hielt der Mann inne.
”Wir sollten hier rasten. Kannst du klettern?”œ
”Auf die Bäume?”œ wollte ich wissen.
”Du bist nicht besonders helle, oder? Natürlich auf die Bäume, auf meinen Schultern findest du keine Palmenwedel, aus welchen wir uns ein kleines Dach für die Nacht bauen können,”œ gab er zurück.
Ich ließ also den Tornister fallen, steckte den Dolch in meinen Hosenbund und stieg auf den nächstbesten Baum. Ich schnitt einige der größeren Blätter ab und warf sie ihm hinunter. Nach etwa fünfzehn, rief er, dass diese genügen müssten und das ich besser herunterkäme, bevor das Licht ganz verschwunden sei, wenn ich nicht Lust auf einen sehr schmerzhaften Schlangen- oder Spinnenbiß hätte. Ich glitt also langsam von diesem Baum herunter und sah, wie er den Stab kurz in die Luft hielt und ein Feuerball aus dessen Spitze einen Teil des trocknen Holzes traf, welches sofort hell aufloderte. Die größeren Äste, die wohl ausnahmslos ich gesammelt hatte, waren zu einer Art Dach zusammengestellt, auf welches wir nun gemeinsam die großen Blätter verteilten.
”Setz dich Junge, für heute hast du genug getan. Achte aufs Feuer, ich bin gleich zurück,”œ sagte er noch, bevor er in den Wald verschwand.
Seltsame Geräusche drangen aus dem Wald, Heulen und Schnattern, Krächzen und Quiecken, Zirpen und Kratzen. Es war unheimlich. Von Zeit zu Zeit hatte ich das Gefühl, dass mich feurige Augen beobachteten. Ich lehnte mich gegen den großen Ast, den der Alte im Boden versenkt hatte und und auf dessen Gabeln die übrigen Holzstangen für unseren Unterschlupf ruhten. Es konnte hier nicht nur diese Palmen geben. Diese hatten keine solchen Äste. Doch ich hatte mich nicht weiter umgesehen, als ich die Blätter schnitt. Aber, so vermutete ich, die Palmen mussten kleiner sein, als die übrigen Bäume. Die kahlen Stämme sahen zwar recht gleich aus, gerade im Dunkel, doch, wenn das dichte Laubdach der Palmen den unteren Blättern der übrigen Pflanzen das Licht nahm, so wäre es doch wahrscheinlich, dass diese über diesem Blätterdach ihre Kronen entfalteten. Nicht so zahlreich, doch immer noch ausreichend. Eine Vermutung, die ich am nächsten Tag bestätigt fand.

Zweimal hatte ich schon Holz nachgelegt, als der Alte aus dem Wald kam. Auf seinem Rücken trug er ein merkwürdig aussehendes Tier mit zwei kleinen Hörnern. Es war größer und schlanker als eine Ziege und sah ihr doch ähnlich. Es hatte ein braunes Rückenfell, aber weiße Läufe und einen weißen Bauch. Es dauerte nicht lang und eine Hinterkeulen des Tieres steckte auf einem Holzspieß, welchen ich über dem Feuer drehen sollte. Aus einer Tasche seiner Robe zauberte der Alte noch zwei kleine Schachteln hervor, die eine enthielt Salz, die andere Pfeffer. Dazu gab er mir noch drei Bündel mit mir unbekannten Kräutern.
”Mach du das mal, ich muss diese Wurzeln hier noch kochen,”œ sagte er und stellte den Panzer eines anderen Tieres ins Feuer, goß Wasser und warf einige braune Knollen hinein.
Ich roch an den Kräutern und machte mich ans Würzen des Bratens. Aus den Augenwinkeln sah ich, wie er das Fleisch des erlegten Wilds in Streifen schnitt und auf der abgezogenen Haut ausbreitete. Danach setzte er sich zu mir und lächelte.
”Riecht doch schon ganz gut. Kochen kannst du also wenigstens,”œ sagte er mit einem breiten Grinsen, ”Da fällt mir ein, du kennst meinen Namen ja gar nicht. Ich verrate ihn ja auch nicht so gern, doch jetzt, da wir sicher eine Weile miteinander wandern werden, man nennt mich Stered Wegilt, und wer bist du mein Junge?”œ
”Manor Altbach,”œ antwortete ich ihm, ”angenehm euch kennenzulernen.”œ
Er schmunzelte, ”Altbach, freundliche Leute aus Konlir. Großvater war ein guter Händler. Eher untypisch für die Altbachs, aber, er war gut. Dein Urgroßvater, dass war ein Haudegen. Hat im Onlokrieg gekämpft. Hat mir zwar nicht gefallen, aber Mut hatte er. Kräftiger Kerl, nur mit dem Kopf manchmal ein wenig zu langsam. Schade, dass du ihn nicht kennengelernt hast. Wie geht's den Eltern und den Großeltern?”œ
Ich konnte nicht antworten. Mein Kiefer klappte auf und zu, aber meine Stimme versagte.
”Hmmm, das hatten wir heute doch schonmal. Hast du das schon lange? Das sieht einem aus deiner Familie gar nicht ähnlich. Naja, wirst dich schon noch fangen.”œ
”Wo ... Woher kennen Sie meine Familie?”œ
”Nun, man kommt viel rum, wenn man nach Wissen sucht. Ist besser alles selber zu sehen als immer nur über Büchern zu sitzen. Trau keinem, der nur liest. Das sind furchtbare Menschen, ekelhafte Besserwisser mit keinerlei Erfahrung. Man muss schon alles selbst erleben, das andere ist nicht wirklich.”œ
”Ja, aber, ich weiß nicht einmal, wer meine Eltern sind. Oder, besser, ich kann mich nicht erinnern,”œ warf ich ein.
In diesem Moment trübten sich seine Augen und das erste Mal an diesem Tag sah er so aus, wie auf dem Schiff.
”Ach ja, ich vergesse immer, dieser Stein. Schwere Prüfung, nun, mein Junge, machen wir's kurz deine Eltern waren gute Leute. Ich glaube, sie leben noch, naja, wenn man das Leben nennen kann. Ihr Wille ist gebrochen und sie gehorchen ganz dem Stein. Warum haben die drei Zauberer auch nicht auf mich gehört, mussten diesen häßlichen Block ja auch unbedingt nach Konlir schleppen. Ich habs ihnen gesagt, aber nein, diese Bücherwürmer wissen ja immer alles besser. Sag dir ja, trau keinem von denen. Guter Kämpfer dein Vater, sehr gut, wie dein Urgroßvater. Schade, dass das passieren musste. Aber, wenigstens hast du nicht alles vergessen. Wie geht's deiner Schwester? Jalare hieß sie glaube ich.”œ
Es fiel mir schwer zu antworten.
”Ich weiß es nicht. Ich bin mir nicht sicher, ob das Mädchen, dass am Kai stand meine Schwester ist. Ich fand sie eines Tages am Brunnen im Dorf. Sie weinte und, ihre Tränen gingen mir nahe. Und auch bei den älteren Leuten, die wir in unserem Haus aufgenommen haben, bin ich mir nicht sicher, ob sie mit uns verwandt sind, doch, irgendetwas scheint uns anzuziehen.”œ
”Euer Wille und euer Herz. Ihr konntet es vor dem Stein verschließen. Die Kleine mit den blauen Augen, den niedlichen Sommersprossen und den meerestiefen blauen Augen? Das ist Jalare. Deine Schwester, das Abbild deiner Mutter, falls du sie suchen willst. Nun, gut, die Augen dürften ihre Tiefe verloren haben, doch, wenn du sie siehst, dann wird dein Herz es dir sagen. Und die alten Leute, auch da hat euer Herz gesprochen. Ja, schau nicht so ungläubig drein, Gefühle sind manchmal besser als aller Verstand. Die Leute heute hören sowieso viel zu oft auf ihren Kopf, nur das Herz weiß, was gut ist und, es ist nichts Schlimmes an Tränen und auch nicht an den Fehlern des Herzens, nur mit diesen wächst und gedeiht man. Wäre doch grausam, wenn man immer nur lachen könnte. Schmerz und Freude, das erhält und zeigt uns das Leben. Man geht nicht an einem Gefühl zu Grunde, sondern nur an dem, was unser Kopf daraus macht. Achja, wenn es dich beruhigt, Jalare und deinen Großeltern geht es gut. Frag nicht. Iss etwas, dann leg dich besser hin, morgen liegt ein harter Tag vor uns und du solltest ausgeruht sein.”œ
Ich schluckte meine Fragen und dann das überaus köstliche Fleisch und die geschälten Knollen herunter, dann drückte mir der Alte seinen Mantel in die Hand und ich legte mich in den kleinen selbstgebauten Unterschlupf und schlief sofort fest ein.

Die Sonne nahte sich dem Gipfel des Fermalinus, des Großen und Schönen, und bald sollte sie hinter ihm versinken, doch zuvor tauchte sie das Land umher in rotgoldenes Licht. Ich lag an einem Hang des Vorgebirges und sah hinab auf mein Dorf dort unten im Tale von Konlir. Nicht weit von mir entfernt spielte ein kleines, blondes Mädchen im Knie hohen Gras. Jalare, meine kleine Schwester. Ein Frau, die ihr sehr ähnlich war, warf ihr einen roten Ball zu, welchen die kleine geschickt fing und zurückwarf. Eine Stimme erklang neben mir. Da lag ein Mann im Gras liegen, der von der Seite wie mein älteres Ich aussah. Ein spitzer Schrei lies mich zu Jala schauen. Im Hintergrund, am Arewendel, dem Dunklen und Kalten, stiegen Wolken auf und aus ihnen formte sich eine durchscheinende Gestalt mit glutroten Augen. Die Frau, mit der meine Schwester gespielt hatte drehte sich zu mir und ich sah ihr Gesicht. Kalte, blaue Augen trafen die meinen und schienen alles Leben und meine Gedanken aus mir zu saugen. Ich wand meinen Blick erschrocken ab und sah in das Gesicht des Mannes neben mir. Er hatte die gleichen verzehrenden Augen und seine Haut war durchscheinend. Ich erwachte mit einem lauten Schrei. Neben mir schnarchte ein alter Mann, Stered Wegilt.

Anmerkung: Wird fortgesetzt, es ist nur ein Anagram drin, dies ist auch noch leicht zu finden, verrät aber, worum ähm um wen es eigentlich geht ;)

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Beitrag von vnv_nation » 8. Aug 2005, 10:39

Fermalinus: Der höchste Berg im Norden Konlirs (der über dem Wasserbärenplätzchen)

Arewendel: Der höchste Berg im Süden Konlirs (das Feld westlich des Wächters der Zellen / Eingang Gefängnis)

Nein, diese Namen sind nicht mit Sotrax abgesprochen, er darf sie aber gern verwenden ;) Nur, ich brauch für die Dinge halt manchmal Namen, auch und gerade für markante Geländepunkte, wie zum Beispiel Berge ;)
Zuletzt geändert von vnv_nation am 28. Aug 2005, 04:36, insgesamt 1-mal geändert.

Ivorwen
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Beitrag von Ivorwen » 15. Aug 2005, 19:24

Mehr....ich will mehr davon;)

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Beitrag von Leit_Wolf » 15. Aug 2005, 19:36

:shock: muss ich das alles lesen?

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Beitrag von Danol » 15. Aug 2005, 19:55

Leit_Wolf hat geschrieben::shock: muss ich das alles lesen?
Du kannst es selbstverständlich auch lassen, aber es ist echt gut :)

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Beitrag von Daysleeper » 15. Aug 2005, 20:09

Leit_Wolf hat geschrieben::shock: muss ich das alles lesen?
dann ist ein beitrag sinnlos.


Ich find die geschichte echt toll. !
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Beitrag von mopf » 15. Aug 2005, 20:32

zwerg.. du solltest dich schämen.. alle anderen posten irre lange texte und du begügst dich als einziger mit so lächerlichen drei zeilen.. sagmal.. amchst du sowas absichtlich? .. der text ist übrigends trotz seiner kürze geil ;)

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Beitrag von Snow » 18. Aug 2005, 04:20

Leit_Wolf hat geschrieben::shock: muss ich das alles lesen?
:lol: Und ich dachte, das wäre Sinn und Zweck dieses Forums...

Toll geschrieben und meine absolute Lieblingsgeschichte hier drin. Du bringst richtig "Fleisch auf die Knochen", also Leben und Farbe rund um die Zahlenwerte der FW-Regeln. Endlich mal richtige Leute! :wink:

Für mich sind die Namen der Berge ab jetzt fix, Fermalinus und Arewendel.

Bitte bald weiterschreiben (das hilft mir auch ungemein, mich so'n bißchen besser in die RP-Welt einfühlen zu können).

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Beitrag von Daysleeper » 18. Aug 2005, 10:36

Ware auch auf die fortsetzung :D
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Beitrag von vnv_nation » 18. Aug 2005, 23:16

- Kapitel 2 -

Schattenwald und Sonnenfels

Die Nacht schien alt geworden zu sein und der junge Tag bereit sein strahlendes Blau über den Wedeln der Palmen, unter welchen wir die Nacht zuvor unsere kleine Schlafstätte errichtet hatten, auszubreiten. Die Luft war feucht und warm. Das Atmen fiel einem schwer, und unzählige Insekten krochen auf dem Boden vor unserer Hilfsbehausung umher, schwirrten in der Luft. Manche stachen zu und saugten Blut, hinterließen dabei juckende Stellen, wo ihr Stachel die Haut durchdrungen, manche Rot umrandet, andere bleich. Nun lag ich wach und lauschte dem rhythmischen Schnarchen des Mannes neben mir. Ich musterte seine Züge. Er schien alt zu sein, sehr alt, älter, als es ein Mensch werden könnte. Tiefe Falten durchzogen sein Gesicht, wie Furchen einen Acker, manche wiesen nach oben, andere nach unten und weitere verliefen längs. Zornes- und Freundenfalten, aber auch solche, welche großen, durchstandenen Kummer zeigten. Stered Wegilt hatte er sich selbst gestern genannt, doch nun, da die Nacht vorüber geglitten war und mein Kopf wieder freier wurde, erinnerte ich mich, dass er sich, als er uns für seine Expedition anwarb, mit Rorald Hirtenfels vorgestellt hatte. Ein wenig Besorgnis beschlich mich, vielleicht hatte der Alte ja Schaden genommen und sein Geist war nun zerrüttet. Doch, so musste ich mir gestehen, er machte nicht den Eindruck, als wäre er verwirrt oder gar irrsinnig geworden. Im Gegenteil, er hatte genau gewusst, was zu tun sei und, was am heutigen Tage noch zu vollbringen war, damit wir feststellen könnten, wo wir uns befänden. Seltsam, er wusste soviel über diese Welt, ich hingegen war beim Anblick des ersten Schachtelmesserfarns völlig aus dem Häuschen geraten und diese merkwürdigen Blattalisken oder auch diese kleinen, ja zierlichen Baumbewohner, die so behände von Ast zu Ast sprangen, jene Affen, hatte ich, meines Wissens nach, noch nie gesehen. Selbst das Tier, welches er gestern Abend erlegt hatte, war mir gänzlich unbekannt. Er hatte noch gesagt, dass es eine Waldantilope wäre, flink, aber nicht sehr gescheit und leicht zu irritieren. Wie er sie getötet hatte, konnte ich selbst jetzt nicht erkennen, doch, die Vermutung, dass er dies mit einem mächtigen Zauber erreicht hatte, lag nahe. Ich schlich ein wenig näher an das Fell heran, welches er, offensichtlich nachdem ich eingeschlafen war, noch von allen Fettresten befreit und zum Trocknen gespannt hatte. Keinen Fehler wies es auf, keine Brandstelle. Wahrhaft, er musste es mit einem seltsamen Zauber erlegt haben, einem, der keine Wunden hinterließ. Das Fell selbst fühlte sich rau an, stumpf, aber, es war sehr dicht, wie das eines der Esel, welche in unserem Dorf von Joret Hellwein gezüchtet wurden. Nützliche, wenn gleich recht eigensinnige Tiere, doch treu und arbeitsam, wenn ihnen der Sinn danach steht. Die Innenseite der gespannten Tierhaut war jedoch weich und langsam, nun, da die Feuchtigkeit vom Boden aufstieg und der Tag anfing wärmer zu werden, bildeten sich kleine Wassertropfen auf diesem unbehandelten Leder, welche es nicht durchdringen konnten.

”Schönes Fell, oder? Recht nützlich. Werden wir noch brauchen, ”œ sagte plötzlich eine tiefe, feste Stimme hinter mir. ”Musst nur noch etwas warten, der Darm ist noch nicht ganz trocken. Also sollten wir wohl erst einmal frühstücken, oder nicht? Hier, such mal nach ein paar davon, ”œ fuhr die Stimme fort und als ich mich umwand, warf mir Stered Wegilt zwei Früchte zu. Ihre Form war seltsam, so eigenartig, wie ihr Geruch, doch, dieser allein belebte meinen Geist und vertrieb alle Müdigkeit.
”Nimm aber den Dolch mit, ach und deinen Tornister. Wäre ja dumm wegen jeder Frucht wieder vom Baum zu klettern.”œ
”Ja, Meister Wegilt... -”œ sagte ich.
”Nenn mich nicht Meister, das bin ich nicht. Sag Rorald oder Stered, das soll genügen. Und wieso schaust du mich schon wieder so an?”œ fragte der Alte und fuhr dann mehr zu sich, als zu mir gewandt fort, ”Langsam glaube ich, dass ihm wirklich Etwas ziemlich heftig gegen seinen Kopf geschlagen sein muss. Folg mal meinem Finger.”œ
”Nein, es ist nichts Meist... ähm Stered.”œ antwortete ich rasch, ” oder, doch, es ist Etwas. Wieso habt ihr zwei Namen?”œ
”Wenn du nicht bald auf die Bäume kletterst, wirst du nicht erfahren, warum und ich werde keinen Namen mehr brauchen, weil wir beide dann verhungert sind, ”œ gab er zurück. ”Ich erklär es dir nachher, aber jetzt spute dich, der Tag wird heiß und feucht, da sollte man früh anfangen weite Wege zu gehen, sonst kann es leicht sein, dass man sein Ziel nicht mehr erreicht. Ach und, ähm, füll das mal da hinten an der Quelle.”œ und reichte mir den Panzer des seltsamen Tieres, in welchem er am Abend zuvor die eigenartigen, ohne Schale doch recht schmackhaften Knollen gekocht hatte.

Mir blieb also wirklich nichts anderes übrig, als den Tornister auszuschütten, den Panzer aufzunehmen, nach dem Dolch zu greifen und loszuziehen, denn Stered machte nicht im geringsten den Anschein, dass er mich jetzt noch beachtete oder gar sich und seine eigenen Worte Lügen strafen wollte, in dem er mir sofort erklärte, wieso er zwei Namen trug. Obwohl ich zugeben musste, dass ich mir nicht mehr sicher war, ob er nur ein Paar davon besaß oder doch ein paar.
So lief ich dann die kleine Erhebung links unseres Nachtlagers hinan, genau in die Richtung, welche mir der alte Mann gewiesen hatte. Es war nur eine leichte Steigung, doch, als ich sie erklommen hatte, ran mir der Schweiß bereits in Strömen von Gesicht herab. Es war widerlich feucht warm. Jeden Schritt wählte ich mit Bedacht und versuchte so wenig, wie nur irgend möglich Umwege zu gehen. Dies jedoch erwies sich als schwere als gedacht, denn zwischen den Bäume rankten seltsame, krautige Pflanzen, mit spitzen Stacheln, die recht schmerzhaft in die Arme und Beine stachen und nur mit Mühe und vielen weiteren Stichen zu entfernen waren. Der Dolch erwies sich als nützlich, wie ich nach dem vierten Mal, dass ich so gefangen stand, feststellte. Trennte man die Ranke nämlich vom Rest der Pflanze, so vertrocknete sie sofort und ließ von einem ab. Doch, um mich durch all diese Schlingen zu hacken, fehlte mir die Kraft und war die kleine Waffe, die ich bei mir trug, ungeeignet.

Stechend, schneidend und gestochen, kam ich also auf der Spitze der Erhebung an. Vor mir breitete sich ein tiefes Tal aus. Ich hätte eines dieser Größe und Tiefe nicht hier erwartet, zu gering war die Entfernung zum Meer, doch, da alles Land von leichten Bergen umgeben war, konnte das Wasser wohl nicht eindringen. Ich sah mich kurz um und stellte fest, dass das, wovon ich dachte, es sei eine Wiese mit kleinen Bäumen und Gebüschen, nichts anderes war, als der Blick auf den Wald von oben. Dicht an dicht standen die Palmen und zwischen ihnen erhoben sich, so wie ich tags zuvor vermutet, höhere Bäume mit kräftigen Ästen. Mit dieser Erkenntnis versehen, schritt ich, diesmal weniger lange und noch weniger durch die nun höher hängenden Ranken behindert, hinab.
Nach einiger Zeit hatte ich die Talsohle erreicht. In der Ferne, nun, wohl doch nur wenige hundert Schritte entfernt, murmelte ein rasch dahin gleitender, klarer Bach. Ich lenkte meine Schritte direkt zu ihm, auch wenn er hinter einigen Sträuchern verborgen war. Von der kleinen Anhöhe hatte ich diese Einkerbung im Blätterdach gar nicht bemerkt. Das Murmeln wurde zu einem Singen, zu einem starken Rauschen, je näher ich kam. Am anderen Ufer, ein Stück nach Nordwesten hin, stand eine kleine Herde dieser Waldantilopen und nahm ihren Morgentrunk. Sie reagierten nicht, als ich näher trat, ich stellte wohl keine Gefahr dar, denn der Versuch den Bach hier zu überqueren, wäre zweifelsohne mein letzter gewesen, selbst den Panzer des mir unbekannten Tieres, welchen der alte Mann mich mitzunehmen angewiesen hatte, konnte ich nur mit viel Mühe halten. Doch der Verlockung, schnell mein Gesicht in das klare Wasser zu tauchen, konnte ich nicht widerstehen.

Es war, als hätte ich mein Antlitz in Feuer getaucht und nur zu schnell bereute ich, was ich getan. Eiskalt war dieses Wasser, kälter als das von den schneebedeckten Hängen des Fermalinus in Konlir. Doch, es vertrieb auch den letzten Schlaf und war in gewisser Weise erfrischend nach dem steilen An- und dem schnellen Abstieg. Nun, eine Aufgabe war gelöst, blieben die seltsamen Früchte. Zu meiner Überraschung lagen am Boden, nur unweit der Stelle, an welcher ich das Wasser geholt hatte, viele dieser am Boden. Leider rochen sie bereits faulig, so dass ich den Baumstamm hochklettern musste. Es dauerte einige Zeit, doch, als ich das Palmenwedeldach durchstoßen hatte, ging es sehr viel schneller vorwärts, denn die riesige Krone begann nur kurz oberhalb des dichten Grünes. Erleichtert stieg ich weiter und weiter. Ich suchte nach den Früchten, wich einigen pelzigen Spinnen und mancher schuppiger Schlange aus. Manche dieser Echsen zischten und andere setzten eilig ihren Weg durch die Baumkrone fort. Einige Vögel schimpften und zwei richteten ihren gewaltigen, roten Federschwanz zu einem Rad auf, welches ich bei einem so kleinen Tier nicht erwartet hatte. Je höher ich kam, um so stärker wurde der Geruch, welchen die Früchte verströmten, doch, zu meiner Verwunderung stellte ich fest, dass die einen auf der Seite des Baumes wuchsen, auf der ich mich gerade befand, die anderen jedoch auf der gegenüberliegenden, der Ostseite.
Ich begann mit meiner Ernte und ließ erst von diesen grünen, erfrischend riechenden, eiförmigen Früchten ab, als mein Tornister zur Hälfte gefüllt war. Mit einiger Not erreichte ich die andere Seite der Krone, zweimal wäre ich beinahe abgestürzt. Einmal um einer dieser gelb - schwarzen Schlangen, die so gefährlich zischten, auszuweichen und das andere Mal, weil ein eigenartiges, diesen Affen ähnliches, doch viel größeres Tier, an mir, mit Hilfe seiner langen Arme und Beine, seiner riesigen Hände und Füße vorbei schwang. Es muss wohl genauso verwirrt gewesen sein, wie ich, denn, es griff zwei Äste weiter ins Leere und stürzte durch das Palmenwedeldach. Ein dumpfer Schlag auf den Boden sagte mir, dass es keinen Halt mehr gefunden haben konnte. Umso vorsichtiger kletterte ich nun weiter. Mir stand nicht der Sinn danach von diesem Baum, durch das dichte Laubdach unter mir, auf den Waldboden zu stürzen. Nach einiger Zeit stand ich wieder wohlbehalten auf dem Boden, irgendwo in einigem Abstand hörte ich wildes Grunzen, doch, so beschloss ich für mich, dies wollte ich ignorieren. Ich eilte also zu dem von mir abgestellten, mit Wasser gefüllten Tierpanzer, nahm ihn und rannte dann die Anhöhe, welche ich genommen hatte um in dieses Tal zu gelangen, hinauf. Ich entfernte mich von jenen unheimlichen Geräuschen, bemerkt jedoch, dass diese mir in zunehmender Entfernung folgten. Ich hielt inne, verbarg mich, so gut es ging hinter einem der spärlich stehenden Sträucher. Ich hatte mich nicht geirrt, das Grunzen näherte sich. Zu meiner Überraschung, stellte ich fest, das es nicht gleichförmig war, wie ich es von wilden, aber auch zahmen Tieren kannte, es variierte. Durch diese Feststellung alarmiert, versuchte ich mich noch besser zu verbergen und zog einige Palmenwedel vorsichtig heran um mich unter diesen zu verbergen. Es dauerte nicht lang und einige Sandmänner und eine Sandfrau erschienen zwischen den glatten Stämmen des Palmenwaldes. Ihre Stimmen klangen rau, jetzt jedoch tatsächlich wie menschliche, nicht länger, wie dumpfes Grunzen, nur verstehen konnte ich sie nicht. Noch nie zuvor hatte ich ihresgleichen erblickt. Es war faszinierend und verwirrend zugleich. Ihre Körper schienen keinen Augenblick zu ruhen. Vielmehr weckten sie das Gefühl, dass sie aus Millionen und Abermillionen kleiner, stetig wirbelnder Sandkörner beständen. Welch Macht da wohl am Werk war? Ich lauschte ihrem Gespräch und versuchte mir den Klang einiger, wiederkehrender Worte einzuprägen, vielleicht wusste der Alte ja, was diese zu bedeuten hatten. Dann, plötzlich, sah einer der Männer hinüber zu meinem Strauch. Tiefschwarze Augen musterten die Pflanze und sein Gesicht nahm den Ausdruck von tiefster Abscheu an. Er wollte seinen Schritt gerade in meine Richtung lenken, als ein gutturaler Laut ihn zurück rief. Die Augen der Frau funkelten wie zwei reine - schwarze Opale, ihre Stimme klang verärgert, feindselig. Der Mann senkte sein Haupt, antwortete trotzig, doch, er behielt seinen Platz.

Lange sprachen die fünf Sandwesen an dieser Stelle miteinander, dann zogen sie gen Osten weiter, ihr Schritt der Anhöhe zugewandt, welche nach nur wenigen Kilometern zum Strand führte. Zu jenem Unglücksstrand, an welchem ich nur einen Tag zuvor erwacht war. Ich spitzte meine Ohren und als mir die Entfernung der Geräusche sicher schien, wollte ich gerade mein Versteck verlassen und zurück zu Stered gehen, da presste mich eine schwere Hand zurück.
”Halt mein Junge, noch nicht”œ, sagte eine tiefe, langsam bekannte Stimme. ”Der Jäger in dir scheint fähig zu sein, doch, wenn du die Überhand gewinnst, wirst du unvorsichtig. Warte einen Moment.”œ
Ich rührte mich nicht, ich wand meinen Kopf nicht, ja, ich hielt sogar den Atem an. Dann spürte ich den Boden zittern. Viele Füße trafen ihn zu gleich. Dann trat eine große Anzahl dieser Sandwesen hervor, marschierte an uns vorüber gen Osten. Schwere Rüstungen schienen sie zu tragen, doch, sie hinterließen kein Geräusch. Diese stille Prozession weckte in mir schiere Angst. Eine solch gedrillte Armee, in diesem unbekannten Land, und soweit ich es wusste, waren sie den Menschen Konlirs alles andere als freundlich gesinnt. Das gleichförmige Stampfen ihrer Stiefel verzog sich. Ich stellte mir vor, wie es wäre, wenn diese Soldaten, jeder für sich allein, gegangen wären, auf der Jagd, lautlos und schwer zu erkennen, selbst hier inmitten von grün, gab ihnen die Farbe des Sandes eine gute Tarnung gegen all die Palmenstämme. Stereds Hand ruhte noch immer auf meiner linken Schulter, sie war ganz ruhig, kein Zittern drang von ihm zu mir, in die Gegenrichtung jedoch lief ein Schauer nach dem anderen.

”Keine Angst, mein Junge, ”œ sagte er beinahe tonlos. ”Du hast dich genau richtig verhalten. Dich hier zu verstecken war ein schlauer Zug. Du hast das Zeug zum Jäger, zu einem guten, will ich meinen. Dein Urgroßvater wäre stolz auf dich. Auch, wenn ich ihn nach allem, was er getan hat nicht mehr sonderlich mochte. Gegen die Onlos in den Krieg ziehen, der Narr. Dabei hätte er es doch besser wissen müssen. Nun ja, lass uns gehen, viel Zeit bleibt nicht mehr fürs Frühstück. Ärgerlich, dass die da sind, dass macht den Weg unendlich länger. Obgleich ich eigentlich fast sicher bin, dass wir auf der Halbinsel Lardikia stehen. Aber, ich will es sehen. Ich frage mich nur, was die Taruner hier treiben?!”œ
Nachdem ich mich aufgerappelt hatte, half ich ihm hoch und gemeinsam gingen wir nun die Anhöhe hinauf. Als wir die Spitze, von der aus ich zuvor das Tal zum ersten Male gesehen hatte, erreichten, wand er sich um, hob, aus welchem Grunde auch immer, die Hand zum Gruß, und ging dann rasch den Hügel hinunter. Ich folgte ihm auf dem Fuße und nicht eine Ranke umklammerte mich, nicht ein Dorn ritzte in meine Haut. Ich wunderte mich zwar, doch nachdenken konnte ich darüber nicht. Noch immer sah ich die hoch gewachsenen, schwer bewaffneten Tarunerkrieger vor mir. Als wären sie auf einem Feldzug, doch, gegen wen?

Stered fühlte das Wasser in eine Art Wasserschlauch, den er aus dem Waldantilopenfell gefertigt hatte. Dieser war zwar nicht ganz dicht, doch es würde mehrere Tage dauern, bis er leer wäre, so wenig der kostbaren Flüssigkeit sickerte durch die frischen Nähte.
”Na, da brauchen wir wohl noch ein bisschen Blattaliskenfett”œ, murmelte er vor sich hin, als er den Trinkschlauch prüfte. ”Sollte ja nicht so schwer sein, sind wieder genügend da.”œ
”Woher wusstest du, dass die Taruner hier sind”œ, unterbrach ich sein Selbstgespräch.
”Ach, Jungchen, du kannst dich verstecken, aber nicht hören und nicht denken,”œ gab er zur Antwort und fuhr fort, ”Ich saß hier und fing an diesen Schlauch zu nähen, sah dir nebenbei hinterher. Du hast ganz schön klein ausgesehen, soweit weg. Nun, jedenfalls, als du schon eine Weile hinter diesem Hügel verschwunden warst, da hörte ich plötzlich ein Sandhorn, und zu meiner Überraschung nicht sehr weit von hier entfernt. Im Nordwesten.”œ
”Ich bin zwar alt”œ, fügte er, diesmal ohne weitere Bemerkung über mein verwundertes Gesicht, hinzu, ”aber noch lange nicht taub.”œ
Nun musste ich doch ein wenig lächeln, hatte ich doch das beruhigende Gefühl, dass wir uns recht wortlos zu verstehen begannen. In manchen Menschen mag dies eine Unruhe oder gar Angst wecken, doch, in Zeiten wie diesen, kann solch ein stilles Verständnis überlebenswichtig sein.
”Nun iss aber erstmal und, dann ist da ja noch diese offene Frage”œ, sagte er. Ich bemühte mich, nicht schon wieder verunsichert drein zu schauen, aber so richtig wusste ich nicht, was er meinte. Entweder, es gelang mir, oder er konnte nachfühlen, wie sehr mich diese Tarunerarmee schockiert hatte, denn, er fuhr ohne weiteres fort.
”Ich hab dir ja gestern schon gesagt”œ, hob er an, ”dass ich nicht gern meinen Namen bekannt gebe. Aber, die Wesen dieser Welt brauchen immer Etwas um die Dinge zu benennen, nun, so heiße ich eben bei euch in Konlir Rorald Hirtenfels, bei den Onlos Jaurik Baumwächter und in meiner Heimat Stered Wegilt. Selbst die Taruner kennen mich und rufen mich Arklta r'Twaren. Na, nun schau nicht so, ich komm viel durch die Welt.”œ
Trotzdem musste ich mehr wissen und, ich fragte ihn einfach gerade heraus.
”Das ist einfach Manor, all die Wesen dieser Welt, sind mit ihr verbunden, selbst die Serumgeister. Sie brauchen all das Land um zu existieren. Der Stein jedoch ist nicht von dieser Welt, obgleich sie nur seinetwegen entstanden, waren die Serumgeister bereits vorher hier. Sie waren Menschen, Onlos, Natlas, Taruner. Er hat sie in seinen Bann gezogen, sie verführt. Natürlich herrschte nicht immer Frieden. Der Sand verleidet die Taruner immer wieder nach Norden zu ziehen und ihn weiter zu tragen. Die Onlos würden gern alles Land bewaldet sehen, ”œ begann er seine etwas längere Antwort. ”Doch, zwei Rassen sind bereits verloren. Eine stürzte in die Finsternis und eine verschwand in ihr. Hast du jemals von den Loranern gehört? Oder von den Kerdisken? Nun, sicher hast du, nur, du hast es auch wieder vergessen. Verflucht seien dieser Stein und die drei Magier mit ihm. Bücherwürmer, keine Ahnung von der Welt, aber wollen ihre Geschicke lenken. Eine dritte Rasse entschied, dass sie fern ab leben will und wurde vom Schicksal der Welt eingeholt. Es bringt nichts sich im Nebel zu verbergen und zu hoffen, dass kein anderes Wesen diesen betritt. Die Welt besteht nicht nur aus den Steinen und Pflanze, sondern auch aus den Lebewesen darauf und darüber, ja, sogar denen darunter. Selbst die heute toten Wesenheiten haben sie nach ihren Vorstellungen mitgestaltet.”œ Er sah das Interesse in meinen Augen und, dass ich noch lange nicht genug gehört hatte, dass immer noch Fragen in mir brannten. So fuhr er fort, ”Weißt du, es gibt eigentlich nur neutrale Wesen, nur ihre Taten entscheiden, wohin die jeweils Betroffenen sie sortieren und das auch nur, weil sie so erzogen wurden. Eine kriegerische Rasse, wie die Taruner, wird den Kampf mit einem Feind immer gut heißen, selbst dann, wenn er schwächer ist als sie und nur aus Büchern gelernt hat. Es stehen viele Richtungen offen und, ein einzelner Mensch oder Serum oder Taruner, ja sogar ein Onlo, kann nicht nur eins sein. Es gibt immer irgendeine Tat, die er selbst lieber vergessen möchte oder, von der er sich wünschte, dass andere sie vergessen mögen. So kompliziert einfach ist das. Die Taruner dort im Wald, auf dem Wege hin zum Meer, führen sicher etwas im Schilde, dass nach ihrer eigenen Ansicht natürlich gut ist und den Ruhm der ihren mehrt. Für die Menschen, oder auch die Onlos bedeutet dies sicher nicht sehr viel Gutes und wahrscheinlich wird so mancher sein Leben fahren lassen müssen, von seinen Lieben getrennt werden, doch, all das erwartet auch die Sandwesen. Sicherlich, es gibt auch das reine Böse, all das, was konsequent gegen alle Rassen arbeitet, nach deren Vernichtung oder deren totaler Kontrolle strebt. Der Stein zum Beispiel. Er will die Kontrolle, aus sich heraus, sein Handeln zielt darauf ab, alle Wesen zu beherrschen, sie zu lebenden Geistern ohne eigenen Willen zu machen, und alle anderen, all jene, die nicht gehorchen, zu vernichten. Er säte den neuen Krieg zwischen die Völker, er verkehrte den Geist der Onlos, so wie die Gier nach mehr Land die Köpfe der Menschen vor vielen hunderten Jahren verdrehte. Sie kämpfen gegen euch und für den Augenblick stehen eure Armeen allein gegen so viele andere. Doch, noch eine Rasse darf nicht sterben. Die Loraner sind verschwunden, die Kerdisken ebenfalls. Das Gleichgewicht der Welt ist bedroht.”œ
Er endete mit einem besorgten Gesicht. Sah mich lange an und seufzte dann leis, ”nun, Hoffnung gibt es ja noch.”œ Er nahm seine Habseeligkeiten auf, war mir einen wartenden Blick zu, der mich zur Eile trieb. Schnell löschte ich das kleine Feuer, zerstörte unseren Lagerplatz und verwischte unsere Spuren, so gut es eben ging. Dann griff ich mir den Wasserschlauch, meinen Tornister, der noch immer viele Früchte beinhaltete, verstaute meine verstreuten Fundsachen und war im Nu zum Aufbruch bereit.
Stered lächelte und sagte dann, ”Na, also, auf zum Schattenwald.”œ Er drehte sich um und ging in nordwestlicher Richtung los. Ich fragte nicht, was dieser Wald sei, ich fragte nicht, ob er nicht glaubte, dass dieser Weg hätte gefährlich sein können, da doch das Sandhorn von dort aus erklungen sein sollte, ich vertraute einfach.

Schnell gelangten wir an die Kuppe des Hügels und liefen ihren breiten Grat entlang. Links und Rechts breitete sich ein gleichförmiger, mit einigen anderen, sehr hohen Laubbäumen durchwachsener Palmenwald aus. Wie ein glänzender, grüner Teppich, wie zähes Wasser, lag er und wogte er zu beiden Seiten in lauten Tälern. Hier und dort murmelten Wasser, sangen Vögel, surrten Insekten um uns herum und schrieen Affen einander zu. Der Grat selbst schien frei von diesen stacheligen Ranken, frei von lästigen Ästen und Erdklumpen und kaum ein wildes Tier kreuzte unseren Weg. Nach einer halben Stunde wand ich mich um. Beinahe hätte ich meinen Augen nicht getraut, denn kaum einhundert Schritte hinter uns, gab es keinen Pfad mehr. Dichter Palmendschungel breitete sich dort aus, dickfleischige, stachelbewehrte Ranken krochen über den Boden, doch vor uns lag ein Weg, der nun langsam anstieg. Mehr als einmal wand ich meinen Kopf zurück und jedes Mal fand ich, was ich nun langsam erwartete, einen dichten, uralten Wald. Allmählich wichen die Palmen kleineren Bäumen, zumeist mit breiten Kronen aus großen Blättern versehen. Der Boden wurde fester, nun, da nicht mehr all zu viele Palmenwedel sein Grundsubstanz darstellten. Über den Baumkronen musste, so sah ich es durch die Lücken zwischen den Blättern, ein klarer, blauer Himmel ruhen. Die Sonne musste einfach unglaublich heiß scheinen, doch, immer wieder überkam mich nun ein Frösteln. Manchmal hatte ich aus dem Augenwinkel das Gefühl, dass sich im Baumschatten Etwas bewegte, dahinhuschte und uns beobachtete, mit gierigen Augen.
Die Blätter wurden kleine und zahlreicher, die strahlend - blauen Lücken weniger, die Schatten dichter. Kaum noch eine Pflanze wuchs auf dem Boden, abgesehen von ein paar Moosarten und nur wenigen Feuchtflechten. Die Luft wurde stickig und doch kälter, sie roch alt, verbraucht und der unheimliche Duft des Verfalls des Holzes mischte sich hinein, modrig und verdorben. Die Stämme der Bäume verloren ihre Farbe und tiefe Schwärze umhüllte die Stämme. Kaum ein Lichtstrahl wurde von ihnen reflektiert, doch, als ich nach oben sah, fragte ich mich, ob überhaupt einer den Weg zum Boden finden könnte, so dicht standen die kleinen Blätter in den Kronen. Grabeskälte herrschte hier. Im Dunkel zwischen den Bäumen, tanzten noch finstere Schatten. Stered lief nun langsamer und ich enger hinter ihm. ”Bleib um alles in der Welt, egal, was passiert, bei mir. Frag nicht, mach es einfach!”œ sagte er eindringlich. Ich zwang mich zu gehorchen. Mir blieb auch sonst nichts anderes übrig, denn ein Blick zurück verriet mir, dass es keinen Weg hinter uns gab. Die Finsternis im Dunkel wurde dichter und unheimliche Stimmen mischten sich in das kalte Rauschen der Blätter. Die Luft sprach mit uns. Ab und zu traf uns nun ein heißer Hauch, eine kurzzeitige, sengende Hitze, aus deren Inneren Worte des Hasses in unsere Ohren drangen.
Unnatürliche Schrei drangen aus der Schwärze zu allen Seiten des Weges, wirre Bilder tanzten plötzlich umher. Ich hatte keine Ahnung, ob dies meine Augen waren, oder das scheinbar Böse, welches in diesem Wald lebte. Gesichter formten sich neben mir und schrieen mich an. Bei manchen hatte ich das Gefühl, sie einst gekannt zu haben, vor anderen fürchtete ich mich. Plötzlich fielen blonde Haar vor mir auf den Boden, ich sah nach oben, doch, da war nichts, ich sah zur Seite und entdeckte Jalas Gesicht, ihr kleiner Körper hing von einem der Bäume herab. Ich schrie auf, ich rannte los, doch Etwas oder Jemand riss mich nach hinten. Das Bild verschwand. Ich sah das freundlich - faltige Gesicht von Stered Wegilt. ”Hör mir zu Junge, wenn ich sage, bleib auf dem Weg um alles in der Welt, dann bleib um alles in der Welt auch auf dem Weg. Hast du schon vergessen, was ich dir über das Böse gesagt habe? Ja, es gibt nur eins, dass ich als böse empfinde, aber Himmel, du kannst dich doch nicht mit den Todesschatten messen. Wie willst du das denn bitte schaffen? Sie geben uns eine Ahnung, von dem was sein könnte. Sie zeigen uns den Tod der Menschen, die wir lieben, doch, sie lügen, sie wollen sich nur nähren, von deiner Wärme, deinem Fleisch. Wenn du Lust hast und den Rest deiner Tage als ihr blutig - angenagter Sklave zu leben, dann nur zu, versuch Jalare zu retten. Sie ziehen dir die Haut ab, bevor du auch nur einen Zipfel eines dieser Wesen erreichen kannst, nur durch ein Wort. Sie fressen von deinem Fleisch und saugen alle Wärme aus dir, bevor du auch nur den Namen deiner Schwester schreien kannst, wenn du diesen Pfad verlässt. Sie halten dich im Leben, in alle Ewigkeit, oder sollte ich sagen, sie lassen dich bei lebendigem Leibe, jeden Tag von neuem Siechen und werden sich nur an deinem Körper laben? Sie lassen dir den Schmerz, aber nehmen dir alle Erinnerung. Du wirst vergessen, wer du bist, was du bist, du wirst nur noch Schmerzen kennen und alles, was dir einst teuer war, wirst du jeden Tag aufs Neue verlieren. Also bleib auf diesem Pfad, bleib bei mir. Keine Dummheiten mehr.”œ Ich nickte um mein Verstehen zu zeigen und kämpfte zur gleichen Zeit gegen die Früchte des Frühstücks, die sich langsam und mit dem Abendessen den Weg durch meinen Hals bahnten. Nur langsam kehrte die Kraft zurück, gewann ich die Beherrschung wieder. Jalare hing wieder an jenem Baum und an vielen der nächsten, sie wurde zerstückelt, sie wurde geschändet, sie wurde gefoltert und erstickt. Ich sah sie brennen und in Säure versinken, ich sah sie fallen und ich sah sie ertrinken. Ich vergaß beinahe, wer ich selbst war und wiederholte nur für mich die Worte des alten Mannes. 'Bleib auf dem Weg, bleib um alles auf der Welt auf diesem Weg!' Wie ein Mantra wiederholte mein Geist diese Worte. Ich verstand sie irgendwann nicht mehr, ich versprach mich, ich wusste weder, was ich da tat, noch warum, doch, meine Füße glitten über den nun felsigen Boden, hinter dem Alten, über den Weg, der sich nur kurz vor uns und kurz hinter uns öffnete. Zu den Seiten sah ich Menschen sterben und ich ein um das andere Mal brannte in mir der Wunsch diese zu retten. Dann verstummte das Wispern, dann schwiegen die Stimmen, Licht fiel wieder auf den Boden, obgleich er felsig hart blieb. Die Finsternis verschwand aus den Schatten, die Schatten wurden dünner. Ich konnte weiter in die Wälder schauen und dann betraten wir eine nach Osten und Westen reichende Lichtung auf dem Grat der Steigung. Völlig unvorbereitet traf mich von hinten die heißeste Welle lebhaften Zorns, welche ich jemals verspürt hatte. Sie riss an mir, sie schlug mich, sie drang in mich und ließ mich Dinge sehen, die zu wissen ich nicht bereit war. Dann schwieg der Hass. Ich lag auf dem Boden, wieder. Ich atmete schwer und sah noch einmal hinunter zu jenem Wald und da erhob ein Taruner einen Speer. Er schleuderte ihn, er traf. Nicht mich, sondern Stered Wegilt. Sein Körper sagte zusammen. Der Sand des Taruners stand still und fing dann urplötzlich an sich entgegengesetzt zu drehen. Seine Augen, vorher zwei klare Amethyste, wurden zu nebligen Rubinen. Über seinen Rücken krochen Flammen und der Hass auf alles Leben schien in sein Gesicht gemalt. Er griff hinter sich und ich sah meine kleine, weinende Schwester und sein hämisches Lachen. Es hallte in meinen Ohren wieder. Er packte mit der rechten Hand Jala an ihren goldenen Haaren, legte die Linke um ihren Hals. Ein Ruck und als wäre die Welt stehen geblieben, sackte meine Schwester in sich zusammen. Ihr Kopf mit Wirbelsäule vom Rumpf getrennt. Er warf diese Überreste auf den felsigen Boden vor sich. Doch, Jalas Augen öffneten sich. Glühend rot starrte sie mich an und schrie mit schriller Stimme, ”Du hast mich nicht gerettet, du hast mich nicht gerettet.”œ Bohrend drangen diese Worte, nicht nur wegen ihrer Höhe in meinen Kopf. Die Jalareste krochen, einer Schlange gleich, auf mich zu. Ihr Kiefer schnappte, ihre Stimme bohrt und dann schlug etwas fest gegen meine rechte Wange. ”Wach auf Junge. Wach auf.”œ sagte eine sanfte, tiefe Stimme, ”Wir sind aus dem Alptraum heraus. Sieh nach vorn, zurückblicken kannst du später immer noch.”œ
Stered tupfte meine heiße Stirn mit einem feuchten Lappen ab. Die Panik in meinem Herzen verflog. Die Bilder schwanden aus meinem Kopf. Langsam beruhigte sich mein Atem und wurde gleichmäßiger. Ich schloss meine Augen für einen Moment und der Alte ließ es zu. Ich versuchte mich zu sammeln, die Eindrücke zu verdrängen. Dann durchflutete mich die Panik erneut, kalter Schweiß brach auf meiner Stirn aus. ”Müssen wir da -”œ
”Nein, wir müssen nicht. Der Weg hinunter ist sehr viel leichter. Vom Klettern mal abgesehen, aber du bist der erste, der nicht zweimal versucht hat den Bildern zu folgen. Wird dich sicher nicht trösten, aber, dass ist schon eine außergewöhnliche Leistung.”œ
Ich sah ihn an, meine Augen verengten sich zu Schlitzen und dann brach es aus mir heraus. ”Verdammt noch mal, ”œ schrie ich und sprang auf meine Beine, ”wenn du alter Graubart weißt, wo wir sind, warum müssen wir dann erst auf diesen dreimal verfluchten Berg klettern!?”œ
Er blieb völlig ruhig und antwortete: ”Nun zu erst einmal, ich seh wieder keine Wunde an dir, welche dein Geschrei rechtfertigt.”œ Ich erhob meine Hände und wollte ihn packen, doch er sprach gelassen weiter. ”Und dafür gibt es auch keinen Grund, ”œ und bei diesem Satz schien er zu wachsen und seine Stimme donnerte, ”also nimm gefälligst sofort deine Hände runter und versuch es zur Abwechslung mal mit Zuhören, ”œ und er beendete den Satz, gelassener und langsam an Körperhöhe verlierend, ”dass liegt deiner Rasse zwar nicht sonderlich, würde ihr aber sicherlich nicht schaden.”œ
”Ich könnte sagen, ich habe von diesem Wald gelesen, aber, ich will jetzt nicht lügen. Ich war bereits hier und ich weiß, warum wir auf den Berg müssen, besser, warum du dort hinauf musst. Ihr Menschen seid schrecklich ungeduldig und Überraschungen oder Prüfungen liegen euch nicht. Doch, schau dich an, du hast den Wald überstanden, besser als jeder andere vor dir. Besser als dein Urgroßvater, den ich ganz sieben Mal davor bewahren musste, sich in sein ewiges Unglück zu stürzen. Jawohl, deinen Urgroßvater. Eigentlich hätte ich es wissen müssen und er auch, denn schließlich war er ebenfalls durch diese Prüfung gegangen und kannte die Gefahr des blinden Vertrauens auf die Eingebungen von Fehlgeleiteten. Das hast du gerade gelernt, das, was du siehst in Frage zu stellen, nicht sehend blind auf Worte von anderen zu hören, sondern dich selbst zu überwinden. Also schrei nicht rum, leg deine Hände an die Seite und ruh dich aus. Der Weg zum Sonnenfels ist noch Kräfte zehrend genug.”œ
Ich schnappte mit den Kiefern, doch der Groll verflog langsam. Ich hatte Jala sterben sehen, unzählige Male, ich wusste, dass dies nur die Wahrheit war, dass sie irgendwann auf irgendeine Weise sterben musste. In mir keimte das Gefühl, dass, wenn ich den Stimmen im Wald Gehör geschenkt und mich von Stered losgerissen hätte, der Tod meine Schwester noch vor ihrer Zeit geholt haben würde. Ich begrub meinen Zorn und sah in den Augen des alten Mannes nichts anderes als reines Verständnis. Eine Frage stellte sich mir trotzdem, was mochte er wohl gesehen haben, denn einige Falten mehr umwölkten nun seine Stirn. Still saßen wir beide zwischen den Bäumen. Die Frage bohrte in mir. Ich war mir nicht sicher, ob ich sie stellen durfte, doch, die Neugier siegte.
”Ich sah Konlir brennen, die Wälder von Gobos verdorren. Nawors Fluss und auch der große in Terasi versiegten, der Sand im Wüstenland Mentoran schmolz zu Glas und der See in Loranien vertrocknete. Ich sah den Tod alles freien Lebens, ich sah den Stein siegen, ”œ eine Träne beschloss seinen letzten Satz. Ich verstand ihn nicht völlig, doch mir wurde bewusst, dass auch für mich, sollte ich nun lebend aus der Sacher herauskommen, oder nicht, der Verlust all dieser Länder, deren Namen mir für den Augenblick nichts sagten, auch Jalas Tod bedeuten mussten. Ich fand es eigenartig, dass der alte Mann nicht von Enkeln berichtete, nicht von Kindern, die sterben konnten, sondern, dass er, die Welt am Ende sah. Allerdings, so sagte ich zu mir, sind die Alten oftmals weiser als die Jungen, wenn nicht der Starrsinn sie befällt.

Wir aßen einige Früchte aus meinem Tornister, tranken das frische, belebende, noch immer eiskalte Wasser aus dem Schlauch und sahen nicht zurück zu jenem verdorbenen Wald des Hasses, in welchem die Schatten längst den Sieg davon getragen und ihn somit der Welt entrückt hatten. Ich fragte nicht, ob bereits einer oder mehrere der Schützlinge des Alten, für ewig in diesem Wald wohnten, ich wollte nicht wissen, woher diese Schatten gekommen und was sie waren. Ich sah hinunter in ein atemberaubendes Tal im Osten. Ich sah hinauf aufs Meer und in die Ferne. Was wohl dort oben, auf dem Sonnenfelsen, wie er es genannt hatte, auf mich wartete? Ich hoffte nur inständig, dass es nicht noch eine solch grausame Prüfung war, doch, was wusste ich an diesem Tag schon von der Welt.

Die Sonne setzte ihren Weg um ein ganzes Stück weit am Himmel fort, bis Stered sich zum Aufbruch erhob. Ich war neugierig, verängstigt auch, doch, ich folgte ihm. Wieder traten wir in einen Wald, doch die Baumhöhe nahm ab, stetig. Dann wichen die Laubbäume einigen Nadelgehölzen und auch deren Größe schwand mit der Höhe, die wir erreichten. Bald waren sie nicht höher als ich, dann nur noch kaum größer als der alte Mann und kurz darauf waren sie verschwunden. Einige Sträucher wucherten noch, der Weg schlängelte sich zwischen ihnen hindurch und war bis hierher immer steiler geworden. Nur mühsam kamen wir nun noch vorwärts. Schwer schlug das Herz in der Brust und immer wieder musste ich Stered nun helfen. Dann nahm der Weg eine letzte Biegung und endete in einer Höhle, in welche er jedoch gerade und ohne Steigung hineinlief. Der Alte hob seinen Stock, murmelte einige Worte und da tanzte auch schon ein kleines Licht in seiner Hand. Vorsichtig hielt er es vor sich, besah sich den Weg, dann traten wir in die spärlich erhellte Finsternis. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir an diesen ewig gleichen, glatten Felswänden entlangliefen. Ich hatte einfach kein Gefühl mehr für die Zeit und viel sehen konnte ich trotz des Lichtes nicht. Einige Schritte voraus und einige, wenige nach hinten. Ich weiß nur noch, dass wir erst nach Norden gingen und dann sehr überraschend nach Westen bogen. Nach einer scheinbaren Ewigkeit wurde der Gang heller und eine große Öffnung tat sich sehr bald danach vor uns auf. Vor dieser lag ein glattes, glänzendes Felsplateau aus seltsamem, schwarzem Stein mit weißen Adern. Die Sonne schien bald im Westen unterzugehen. Stered setzte sich auf eine Bank nahe des Eingangs. ”Nein, nein Junge, du musst noch ein Stück weiter. Allein diesmal. Hier kann ich dir nicht helfen. Komm wieder, wenn diese Aufgabe vorüber ist, ich werde hier sein, ”œ er lehnte seinen Kopf gegen die glatte, gepolsterte Rückenlehne und sein rhythmisches Schnarchen verriet mir, dass er sofort eingeschlafen war.

Nun gut, ich sollte mich dieser Prüfung allein stellen. Wenn ich nur gewusst hätte, was eigentlich die Prüfung war. Ich sah hinüber nach Westen, dort flammte der Himmel rotgolden auf und die Sonne schickte sich an ihre Tagesreise zu beenden. Ich folgte den Strahlen, welche vom Felsenrand des Plateaus zu mir herüber flossen. Eine atemberaubende Landschaft erschloss sich mir beim Blick hinab ins Tal. In der Ferne glitzerten die weißen Pässe eines Berges, dessen Namen ich nicht kannte. Davor lag ein grüner Teppich aus Palmen. Leise drang der Gesang der Vögel an mein Ohr, doch, etwas mischte sich hinein. Es klang wie ein dumpfes Schlagen, welches aus nördlicher Richtung zu mir herüber wehte.
Ich wand mich dieser Richtung zu und sah eine dunkle Gestalt sich vom Himmel abheben.
”Na, du Wurm, ”œ rief ihre Stimme, tief und grollend zu. ”Hast du endlich deinen erbärmlichen Leib hierher geschleppt. Nun, die Mühe hättest du dir sparen können, der Tod wird dein Lohn sein. Feiglinge sterben immer im Abendrot.”œ Die Stimme kam mir seltsam bekannt vor.
”Wer seid ihr?”œ
”Komm doch näher, oder sind deine Knie etwa schon ganz weich?”œ spottete die Gestalt.
Ich ging auf das Wesen zu.
”Ja, komm nur, so kenn ich dich, du Made, eile in deinen Tod, für Ruhm und was auch immer. Solltest besser mal an dich selbst denken. Nimm deine Beine in die Hand, so lange du das noch kannst.”œ
Immer mehr stieg in mir das Gefühl auf, dass ich die Gestalt, dort am nördlichen Rand, mit der schwarzen Rüstung und der dunklen Robe darüber, die Kapuze tief über die Augen gezogen und den Kopf gesenkt, kannte.
Ein heiseres Lachen erklang.
”Bist du zu dumm um es zu erraten?”œ
Woher kannte dieses Wesen meine Gedanken?
”Na woher wohl du winselnde Ratte?”œ
Ja, woher?
Spöttisches Gelächter begleitete meine letzte, an mich gerichtete Frage.
”Na, wie geht”™s Jala? Wie oft hast du sie heute getötet?”œ
”Gar nicht!”œ
”Oh doch, du Feigling, hast auf den alten Graubart gehört, auf diesen widerlichen Möchtegernmagier.”œ
”Er hat mir geholfen zu überleben!”œ
”Ach, hat er das. Och, der Guuuuute. Wie edelmütig von dieser kleinen Fledermaus. Und, wie heldenhaft von dir. Na, was denkst du, hat Jala gelacht, als sie gehäutet wurde?”œ
”Sie wurde nicht gehäutet!”œ
”Bist du dir sicher? Glaubst du jedem dahergelaufenen Scharlatan? Machst du dir gar keine Gedanken mehr?”œ
”So kannst du nicht über ihn reden.”œ
”Oh doch, ich kann, und ich werde über den Mörder meiner Schwester reden, wie ich will!”œ schrie die schwarz gekleidete Gestalt.
”Er ... Er hat deine ... deine Schwester ermordet?”œ fragte ich erschüttert.
”Ja, das hat er. Du hast sie sterben lassen!”œ
”Ich kenne deine Schwester doch gar nicht!”œ
”Nein, ”œ fragte die Gestalt mit einem Unterton tiefsten Spottes, ”du kennst meine Schwester nicht?”œ Und fuhr dann schreiend fort, ”Den Namen Jala hast du ja auch noch nie gehört!”œ Nach diesem letzten Satz, warf er die Kapuze zurück und mich sahen zwei rot glühende Augen an. Sie wirkten wie jene, die ich bei diesem Taruner am Rande des Schattenwaldes in meinem Wachtraum gesehen hatte. Dampf stieg von der Rüstung des Schwarzgekleideten auf und der Anblick seines Gesichts, wie auch seine Stimme, ließen mich zurückweichen.
”DU KENNST ALSO MEINE SCHWESTER NICHT!”œ brüllte er und ehe ich es mich versah, riss er sein Zweihandschwert von seinem Rücken und hielt es vor sich.
”DU - KENNST - ALSO - MEINE - SCHWESTER - NICHT?”œ
Jedes dieser Worte war von einem Schlag nach mir begleitet. Gerade noch rechtzeitig konnte ich unter den schweren Streichen wegtauchen, oder aber zu einer freien Seite ausweichen.
”Kämpf du Wurm, Kämpf du feiger Sohn einer Stabschrecke, KÄÄÄÄÄMPF!”œ und eine Welle tiefsten Hasses traf mich. Noch immer hatte ich meine Fassung nicht wieder gewonnen. Der Schwarze tat bei jedem Hieb einen Schritt nach vor, während ich mich ausweichend weiter zurückzog. Ich sah sein vom Hass verzerrtes Gesicht, ich sah seine Augen, ich hörte seine Stimme, ich spürte die Intensität seiner Gefühle für meine Schwester. Und plötzlich traf es mich, wie ein Schlag desjenigen, der da gerade mit seinem Schwert auf mich eindrang, ich spürte die Intensität meiner Gefühle für meine Schwester, ich hörte meine Stimme, ich sah mein eigenes Gesicht vor Hass auf mich selbst verzerrt. Es waren meine Augen, die mich rot glühend anfunkelten und mein eigener Geist, der mich zerstören wollte. Das sollte ich also lernen. Ich sollte mein Selbst begreifen, meinen inneren Kampf beenden, dieses Abbild meines Ichs, voll mit all meinem Hass, meinem Jähzorn, meiner Wut, besiegen.
Ich sprang zur Seite. Ich schrie mich an. ”Sie ist doch gar nicht tot, sie lebt.”œ
”SIE IST TOT, DU HAST SIE ERMORDET, DU HAST SIE STERBEN LASSEN!”œ
Ich sprang auf mich zu und wich vor mir zurück. Mehrere Schläge trafen den schwarzen, weiß geaderten Boden und schlugen tiefe Kerben. Ich wand mich von mir ab, denn ich hatte beim letzten Ausweichen am südlichen Rand einen Tisch entdeckt. Meine Brust schien vor Schmerz zu bersten. Doch mein anderes Ich, sich seines Sieges gewiss folgte mir nur langsam, schreiend, beleidigend.
Ich erreichte die Kante, ich sah, hinab auf einen schwarzen Flecken im grünen Meer aus Palmenwedeln. Der Schattenwald. Ich versuchte mich zu erinnern, während ich die weiße Rüstung, so gut es ging, anlegte und dann das Zweihandschwert griff. Ich war überrascht, wie schwer diese Waffe war. Das Gewicht der Rüstung allein hatte schon gereicht um mir Ströme des Schweißes über den Körper zu jagen. Doch das Schwert, mit Mühe konnte ich es heben und wollte mich gerade wieder mir selbst zuwenden, als der Tisch neben mir mit lauten Krachen unter einem silbrigen Blitz zerbarst. Nun stellte ich fest, dass ich gar nicht mehr so flink ausweichen konnte und die Schläge meines anderen Ichs kamen mir näher. Ich versuchte mein Schwert zur Abwehr des meinen zu erheben, doch, es gelang mir nicht richtig und ein erster Hieb traf meine Rüstung.
Schmerzen schossen durch meinen linken Arm. Doch, das schwere Metall hatte den Schlag gefangen. Nun musste ich dem nächsten Hieb ausweichen. Die eben noch mein Leben schützende Rüstung erwies sich erneut als hinderlich. Dennoch, der Schwertstreich ging daneben.
”BLEIB STEHEN DU MADE!”œ schrie ich mich an, doch ich dachte nicht daran. Ich zog das Schwert hinter mir her und hoffte darauf mein Heil erneut in einer kurzen Flucht zu finden. Ich kannte mich selbst gut genug und, ich wurde nicht enttäuscht. Brüllend und stampfend, kochend und schnaubend, lief mein schwarz gerüstetes Ich hinter mir her, doch immer noch überwog seine Siegeszuversicht. So bekam ich ein wenig Zeit zum Aufatmen. Die Rüstung engte mich ein. Sie sperrte mich ein und mir fehlte meine Bewegungsfreiheit.
”Ja, lauf du nur, du Spross der Kanalkrake, du feiger Sohn eines Unwürdigen, ”œ fluchte mein anderes Ich hinter mir.
Meine Bewegungsfreiheit. Das war es, diese Rüstung war nichts für mich, sie schwächte mich. Ich war kein Krieger, ich hatte Talent zum Jäger und dieser fängt seine Beute mit List und nicht im direkten Kampf. Ich schnitt die Ledergurte mit dem Dolch, den ich für alle Fälle in meinen Stiefel gesteckt hatte, durch. Laut scheppernd fiel sie auf die glänzende Plateaufläche.
”Ha, gibst du auf, du Hund? Dann mach dich bereit zu STERBEEEEEEN!”œ schrie mein zweites Ich, doch, es blieb im Laufen langsamer als ich. Es war genauso beschränkt, wie ich. Ich sah schnell auf dem Tisch am nördlichen Ende, zu welchem ich mich gerettet hatte nach und entdeckte eine kleine, leichte Waffe für mich, eine einfaches Kurzschwert. Ich wusste, dass ich gleich wieder eilen musste, darum griff ich schnell noch ein leichtes Lederwams, welches mit einigen Kettengliedern verstärkt war. Gerade noch rechtzeitig tauchte ich ab und entging so einem Schlag des schwarz gekleideten Ichs. Dann rannte ich los, wieder zur südlichen Kante. Oh, wie leicht es sich doch nun lief. Während mein Gegner, nun immer langsamer dahinschlurfte. Er hielt das Schwert nicht mehr hocherhoben, wie noch kurz zuvor, sondern, zog es über den Boden. Seine Augen glühten weniger. Er folgte mir dennoch, doch aus dem Schreien war ein lautes, keuchendes Reden geworden und nicht jedes Wort wurde von einem Schlag begleitet. Nun begriff ich, was ich tatsächlich zu lernen hatte. Ich musste nicht meine negativen Eigenschaften töten, ich musste sie akzeptieren, sie kontrollieren lernen. Eilig warf ich mir das Lederwams über und nahm das Schwert in die rechte Hand. Nichts schränkte meine Bewegungsfreiheit ein und zur Not konnte ich mich wehren. Nun war es an mir zu spotten, aber auch meine dunklen Seiten zu beruhigen, sie auszulaugen und dann mit mir zu vereinen.
”Du hast Jala ermordet. Nur du.”œ
”DAS HAB ICH NICHT!”œ schrie mein anderes ich.
”Oh doch, das hast du. Du bist in den Wald gerannt und nun stehst du hier, bis ans Ende deiner Tage.”œ
”DAS TU ICH NICHT!”œ, und ich wich geschickt dem Kräfte raubenden Schlag aus, mein ich hielt inne und verschnaufte.
”Und wieso bist du dann hier? Bist du den Berg hinaufgeklettert, oder ich?”œ
”ICH WOLLTE JALA RETTEN!”œ, der Streich wurde nur noch halbherzig ausgeführt und landete weit entfernt von mir im glänzenden Steinboden.
”Na, was war denn das? Sind wir ein bisschen unsicher?”œ Ein Brüllen bestätigte mir, dass ich mich nicht geirrt hatte, der nun jedoch besser gezielte Schlag zwang mich zum Ausweichen und ich wusste, dass ich noch ein wenig Zeit benötigte.
”Du wolltest also Jala retten. Wie willst du das denn anstellen? Du kannst ja kaum noch laufen!”œ
Der Schlag landete irgendwo und mein schwarzes Ich auf seinen Knien.
”ICH - Wollte - Jala - doch - nur - retten...”œ, stieß er langsam und immer leiser werden, in Tränen erstickend, hervor. Er kippte vorn über und verschwand.
”Bravo mein Junge, ”œ sagte eine Stimme neben mir. Ich fuhr herum, dass Kurzschwert in der rechten Hand.
”Na, na, Vorsichtig, ich bin kein Braten. Steck das mal weg und setz dich. Erzähl mir mal, was hier passiert ist.”œ

Beinahe eine halbe Stunde schilderte ich Stered, was ich gerade erlebt hatte, ihn interessierte jeder kleine Gedanke, jedes Gefühl. Es war schwer sich daran zu erinnern, doch, es gelang mir. Dann stand er auf und seine Handbewegung hieß mich folgen. Langsam gingen wir beide hinüber zum westliche Rand des nun gänzlich in rot getauchten Plateaus. Er zeigte mit seinem Finger in Richtung des weiß glitzernden Berges. ”Karmelin, der weiße Berg von Orewu. Unser nächstes Ziel, wenn du willst.”œ Mit diesen Worten holte er eine kleine Kugel hervor und gab sie mir. Sie glitzerte blau im restlichen Licht der untergehenden Sonne dieses langen, nun schwindenden Tages. ”Sie bringt dich zu Jala, oder zum Fuße dieses Berges hier. Er heißt übrigens Eriandira, die Einsichthütende. Du entscheidest, wohin unser Weg uns nun führen wird.”œ Dann nahm er meine linke Hand und wartete.
Vor meinen Augen sah ich das kleine, runde Gesicht meiner Schwester, ihre goldenen, langen Haare, ihre liebevollen blauen Augen. Ich hörte ihr Lachen und sah sie vergnügt einen roten Ball fangen. Dann mischten sich zwei kalte, leere Augen in das Bild und ich erblickte die schemenhafte Gestalt über dem Arewendel.

Dann drückte ich die Kugel. Ein Wirbel aus Licht umfing mich und es wurde eiskalt. Meine Sinne schwanden und ich schlug auf dem weichen Boden einer Wiese auf.
Zuletzt geändert von vnv_nation am 18. Aug 2005, 23:33, insgesamt 3-mal geändert.

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Beitrag von vnv_nation » 18. Aug 2005, 23:27

Zwei neue Berge gibts...

Karmelin, der weiße Berg ... befindet sich schräg über dem Salzshop, 2 Felder östlich des Orewuturms (x.115, y.113)

Eriandira, die Einsichthütende ... befindet sich in Lardikia (wo auch sonst ;) ) und zwar an x.120, y.113 (dort ist dann natürlich auch der Sonnenfels), das heißt, 2 überm Lardikiashop ;)

der Schattenwald ist logischerweise innerhalb des Feldes x.120, y.114

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Beitrag von Blizz » 26. Aug 2005, 23:16

hoffe mal das war nicht das letzte Kapitel das ich gelesen habe. Aber könntest du beim nächsten Mal wieder alles in einer Schriftart schreiben? naja du dürftest noch ungefähr so 100 Bergfelder ohne Namen zur Verfügung haben die gehen dir nicht aus.
Irgendwas ist immer
Blizz (Gruppentelepathie): und das steckenpferd.. ist ausdruck meines kranken Hirns xD
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Beitrag von vnv_nation » 26. Aug 2005, 23:36

Blizz hat geschrieben:hoffe mal das war nicht das letzte Kapitel das ich gelesen habe. Aber könntest du beim nächsten Mal wieder alles in einer Schriftart schreiben? naja du dürftest noch ungefähr so 100 Bergfelder ohne Namen zur Verfügung haben die gehen dir nicht aus.
Hmmm, ich wurde per PN von zwei Lesern gebeten die wörtliche Rede etwas hervorzuheben... Mal sehen, vielleicht wird das nächste Kapitel etwas absatzreicher, dadurch leichter lesbar. Und ja, es wird definitiv noch ein drittes und noch manches Kapitel mehr geben. .oO(Wie man sich denken kann, sind wir ja noch lange nicht wieder in Konlir ;) )

Very Late Edit: Ähm, ich muss mich korrigieren, wir sind doch wieder in Konlir, aber irgendwie auch nicht, also, ja, hmmm.... ähm, Geduld :-P

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Beitrag von Madeleine » 27. Aug 2005, 16:49

tolle Geschichte, ich würde mich über eine Fortsetzung sehr freuen

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vnv_nation
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Beitrag von vnv_nation » 28. Aug 2005, 06:01

- Kapitel 3 -

Sommermond

Langsam kroch der Schatten auf sie zu. Er wisperte und ließ dazwischen immer wieder ein schlürfendes Geräusch vernehmen. Sie stand ganz still, Angst ließ ihr sonst so tapferes, wenngleich auch junges Herz schneller schlagen. Sie zitterte am ganzen Körper, wollte wegrennen, hinter die Bäume oder hinüber zum alten Brunnen, doch, ihre Beine bewegten sich nicht. Das Schlürfen wurde durchdringender, das Wispern lauter, der Schatten tiefer und bedrohlicher. Ihre Hände ruhten schlaff an ihrer Seite, die Arme zu heben schien unmöglich und die Kraft, die es erfordert hätte auch nur die Augen zu schließen, schien übermäßig groß. Kalter Schweiß ran ihren Rücken hinab und von ihrer Stirn. Kälte durchzog sie. Das schwarze Nichts war nun ganz nah. Sie hörte sein inneres Raunen, sein Wispern strich über ihre Haut, das schlürfende Geräusch drang in ihren Körper, bohrend, nagend, nach dem letzten Schritt der Finsternis, brennend.
Sie spürte einen stechenden Blick und wäre nicht in der Lage gewesen zu sagen, woher dieser aus der Dunkelheit gekommen war. Ihre Augen hielten stand, nicht, weil ein plötzlicher Anflug von Mut sie überkam, sondern, weil sie nicht mehr befähigt war auch nur einen klaren Gedanken zu fassen, geschweige denn ihren Herzenstüren den Befehl zum Abwenden zu geben. Sie spürte das Nagen in ihrem Kopf, sah Erinnerungen aus sich heraus fließen, Gesichter, der Namen verschwanden, als sie ihrer gewahr wurde. Dann griff der Schatten nach ihr und seine Hand glitt hinüber zu jenem einen Ort in ihrem Geist, den sie niemals öffnen wollte. Sie spürte, wie die finster, kalte Klaue des Nichts, sich an der kleinen Pforte zu diesen Erinnerungen zu schaffen machte. Sie fühlte, dass diese kleine Tür nachgeben könnte. Sie schrie die Dunkelheit an: ”Geh weg!”œ und leise seufzend fügte sie hinzu, ”Das wirst du nicht sehen, das bleibt bei mir!”œ Kraft durchflutete sie, ungeahnte Kraft und sie stieß den Schatten von sich, dieser zitterte, stöhnte und plötzlich schwand er.

Helle, braune Augen traf ihr Blick, eine sanfte, alte und doch sehr schöne, beruhigende Stimme sprach zu ihr. Sie nahm die Worte nicht wahr, nur, dass sie ruhiger wurde, dass ihr Atem langsamer ging und der Schatten, der sich über ihr Gesicht gelegt hatte, schwand. Leicht fiel es ihr nun ihren kleinen Körper zu heben und sie schlang ihre Arme um den Hals der alten Frau, welche bei ihr stand. Tränen rannen aus ihren traurigen, tiefblauen Augen und sie vergrub ihr Gesicht im Busen der Alten.
”Nur ein Traum Jala, nur ein Traum”œ, sagte die Frau, ”beruhig dich Kind. Ich bin ja bei dir.”œ
Das Mädchen antwortete ihr, doch, was sie sagte, ging beinahe völlig in ihrem Schluchzen verloren. Vorsichtig löste die Alte sich aus der Umklammerung, hob die Bettdecke ein wenig und legte sich neben das ängstliche Kind. Langsam kehrte Ruhe in sie zurück, obgleich sie sich eng an die Frau schmiegte. Bald war sie wieder eingeschlafen, während die Alte noch die Zimmerdecke anstarrte und ihren eigenen düsteren und sicher traurigen Gedanken nachhing.

Die Nacht glitt danach traumlos für beide vorüber. Die Dunkelheit verflog und das nahende Sonnenlicht gab den Dingen wieder ihre Form und auch die Farben kehrten langsam, aus dem Schwarz über grau zurück. Noch immer lag die Alte neben dem Mädchen, den Blick auf die leere, schmutzig - weiße Decke gerichtet, auf welcher nun das Spiegellichts des nahen Sees tanzte. Jala atmete ruhig in ihrem, nur noch kurz dauerndem Schlaf, die kleinen Arme um die Frau geschlungen, mit den Händen die raue Bettdecke haltend. Aus der Ferne, östlich, hörte man die ersten Hähne krähen. Der Tag kehrte zurück. Die alte Frau nahm vorsichtig den einen Arm des Mädchens und schlich sich unter diesen fort und aus dem Bett. Leise glitt sie aus dem Zimmer, durch den türlosen Rahmen, hinunter in die Küche um das Essen zu bereiten. Müdigkeit stand ihr ins Gesicht geschrieben, Traurigkeit, die nun, da der Tag hellte, langsam verflog, umwölkte ihre Sorgen gezeichnete Stirn.

Jala rieb sich die kleinen Augen mit ihren Händen. Sie saß aufrecht im Bett, ein Schauder durchfuhr sie in der Erinnerung an letzte Nacht. Dieser kalte Schatten, er war so wirklich gewesen. Schon lange quälten sie diese Träume. Seit dem Tag, an welchem sie von den Ufern des fernen Wassers in Kuridan zurückgekehrt waren, seitdem ihr Bruder mit einem Schiff auf Reisen gegangen war. Vorher hatte sie, seit er sie am alten Brunnen des Dorfes gefunden hatte, nicht für sehr lange verlassen. Er war bei ihr, selbst, als er beim Bau des Schiffes mithalf, hatte sie seine Gegenwart in ihren Gedanken gespürt, doch nun fühlte sie sich seltsam allein. Leise stand sie auf und huschte durch den Türrahmen, hinüber zum alten Zimmer ihres Bruders. Vorsichtig hob sie den Deckel der Truhe und sah auf etwas kalt Glänzendes und auf ein Stück hellbraunen Leders. Ein Klopfen riß sie aus ihren Gedanken, doch ließ dieses sie nicht so achtlos sein, wie man es vielleicht erwartet hätte, denn langsam und geräuschlos schloss sie die Truhe wieder. Dann huschte sie flink und beinahe lautlos die Treppe hinunter zur Küche und setzte sich dort auf einen Stuhl. Durch das nahe Fenster drangen die Fetzen eines Gesprächs.

”Nur dieser Vogel... Keine Nachricht... verletzter Flügel... Der Sturm vor zwei Tagen...”œ
Dann hörte sie die heisere Erwiderung der sanften Stimme. Etwas stimmte nicht. Sie sprang auf, rannte zur Vordertür und sah ihre Großmutter, jene liebevolle, alte Frau auf den Stufen sitzen, dass Gesicht unter ihren Händen begraben und hörte ihr Schluchzen. Ihr gegenüber stand ein Mann der Stadtwache. Ein Stück entfernt, am kleinen Teich, trank ein großes, braunes Tier, mit langem Schweif und einer schwarzen Kopfmähne gierig vom kühlen Nass. Das Gesicht des Wächters war angespannt und von Traurigkeit durchzogen. Sein mitleidiger Blick traf Jala und sie verstand ohne weitere Worte, was geschehen war. Sie kannte Irels Wartenberg schon länger, fast so lang, wie sie Manor, ihren Bruder kannte. Beiden war gelungen, was nur wenige im Angesicht des Steins geschafft hatten. Sie behielten einen Teil ihrer Erinnerung. Sein Gesicht sprach Bände und all diese wären mit Trauer und Schmerz, Leid und Furcht um den einzigen verbliebenen Freund gefüllt gewesen, der ihm noch geblieben war. Jala wusste, das Manor etwas zugestoßen sein musste. Leise ging sie zu ihrer Großmutter, legte ihr die kleine, nun wieder zitternde Hand auf die Schulter. Doch in diesem Moment wuchs Jala in und an sich selbst. Sie fasste einen Entschluss, doch darüber sprechen wollte sie nicht. Ein kurzes Nicken ihrerseits versicherte Irels, dass sie sich um alles kümmern würde. Der Wächter verneigte sich, gab dem Mädchen zum Abschied die Hand und dann drückte er ihr unvermittelt einen Kuss auf die Stirn. Sie folgte mit ihren kleinen, brennenden Augen, seinen Schritten. Sie sah, was sein Tier alles trug. Rüstzeug und Waffen. Aus einiger Entfernung konnte sie nun Rufe laut werden hören. Mehrere Männer auf Pferden nahten und Irels schloss sich ihnen an. Sie ritten gen Westen davon, hinüber zur Pforte des Grünwegs, zum Krieg hin. Jala nahm neben ihrer Großmutter auf der Treppe Platz, ihren Kopf auf ihre Schulter gelegt. Sie kämpfte innerlich eine harte Schlacht. Sie gewann und keine Träne verließ ihre Augen.

Der Tag verfloss. Kaum ein Wort wurde im kleinen Haus gesprochen. Jeder erfüllte seine Pflichten. Jala fütterte die Hühner, das alte Schwein und den kleinen, mageren Esel. Ihre Gedanken jedoch waren in die Ferne gezogen, suchend. Der Abend nahte sich und die Sonne schickte sich an hinter dem Gipfel des Aredwendel zu versinken. Das karge Abendbrot nahmen sie schweigend, gemeinsam in der Küche ein. Die Augen der Großmutter waren rot - umrandet und noch immer rannen Tränen aus diesen herab. Großvater saß angespannt auf seinem harten Holzstuhl, die Zähne fest aufeinander gepresst. Nur hin und wieder biß er von seinem Brot ab. Die Nacht hielt Einzug, die Schatten schwanden, noch war der Mond nicht über dem Fermalinus erschienen. Das Licht der Kerze flackerte unruhig und spiegelte sich in Jalas kleinen Augen. Ihr goldblondes Haar hing wallend über ihren Schultern. Sie stand auf, drückte ihre Großmutter und ihren Großvater und huschte dann hinauf in ihr kleines Zimmer. Als sie auf ihrem Bett lag, konnte sie die Lichter des Wassers an ihrer Zimmerdecke tanzen sehen. Der Mond war endlich hinter dem Berg hervor gekrochen. Hell würde er diese Nacht sein.
Unten in der Küche wurde nicht gesprochen. Das Geschirr klapperte, dann knarrte die Treppe und eine Holztür wurde knarrend geschlossen. Jala sprang leise auf. Sie schlich leise hinüber zu jenem eben verschlossenen Zimmer und lauschte. Doch sehr bald wandelte sich das leise Knarren des Bettes, in ein kräftiges, zweistimmiges Schnarchen.
Jalas Stunde war gekommen. Langsam ging sie zum Zimmer ihres Bruders, öffnete geräuschlos die Truhe und wollte den glänzenden Gegenstand herausnehmen. Doch zu schwer war er für sie. So zog sie nur das hellbraune Leder hervor, hielt dann jedoch den Atem an, denn darunter entdeckte sie eine wunderbare nachtblaue Robe. Sie griff nach ihr, zog sie heraus und danach an. Sie passte, als wäre sie für das Mädchen genäht. Ihre kleinen Hände ergriffen die Kapuze und hoben diese über ihr strahlend - goldenes Haar. Sie sah noch einmal in die Truhe, doch mehr fand sie nicht. Traurig schloss sie den Deckel, ging hinüber zum Tisch ihres Bruders und fing an eine Nachricht auf dem dort liegenden Pergament zu hinterlassen. Als sie die Feder zu letzt in die schwarze Tinte tauchte, traf ein Lichtstrahl ihr Auge. Sie folgte ihm zu seinem Ursprung und zog einen kleinen Ring mit blauem Stein aus einer Schale. Sie konnte nicht anders, als ihn auf ihren Daumen zu stecken und plötzlich erfüllte sie eine warmes, wohliges Kribbeln. Sie nahm das Pergament auf und ging lautlos zur Tür, da sah sie in der rechten Ecke neben dieser einen Holzstock stehen. Vorsichtig griff sie ihn und ging dann hinunter in die Küche. Dort legte sie den Brief auf den Tisch. Sie seufzte und lenkte dann ihre Schritte zur Vordertür. So leise, wie sie diese geöffnet hatte und hindurch geschlüpft war, verschloss sie diese auch wieder. Dann eilte sie zum Stall, schnappte sich ihren Tornister und tat den ersten Schritt auf den Weg vor dem kleinen Haus. Der Mond schien hell und voll über dem Fermalinus, auf seiner Reise hinüber zum Aredwendel. Tief atmete sie ein, sah hinüber zu jenem hohen Berg, an dessen Hängen sie oft mit Manor gespielt hatte, zu dessen Fuße der Brunnen stand, an welchem er sie gefunden und von dem er sie in sein Haus gebracht hatte. ”Wenn du einmal heim willst, such den Berg”œ, hatte er zu ihr gesagt, ”und folge ihm, dann bist du bald zu haus.”œ
Nun, so musste der Weg, wenn der Fermalinus im Rücken stand, wohl in jenes ferne Land führen, in welches er zu reisen gedachte, jenen Pfad wollte sie nun gehen. Sie wand sich gen Westen, den Berg rechts hinter sich im Rücken, und lief los. Schwer war ihr Herz, bei dem Gedanken an das Erwachen der Großeltern, doch ein altes Sprichwort Konlirs sagte, ”Wenn die Reise du beim vollen Mond beginnst, du alles, was du willst gewinnst.”œ
Den Stock, welchen sie eben aus Manors Zimmer genommen hatte, neben sich führend, schritt sie hinaus in die Welt, auf den Aredwendel zu, hin zum Grünweg, hinüber in den Wald des einsamen Baumes und von dort wollte sie nach Nordenwesten gehen, in jenes ferne Land, jenseits eines Meeres, welches seinen Ursprung vielleicht in Kuridan hatte. Wie lange sie reisen mochte, wußte sie nicht, und, es kümmerte sie nicht, denn sie wollte ihren Bruder finden und ihn wieder nach Hause bringen.

Ich lag im weichen Gras und atmete schwer den würzigen Duft der Wiesenkräuter. Mein ganzer Körper schmerzte, doch, die hoch am Himmel stehende, brennende Sonne sagte mir, dass ich viel zu lang geschlafen hatte. Ich versuchte meinen Kopf zu heben, nach dem dritten Versuch gelang es mir. Bleiern waren meine Glieder und schwer war jede Bewegung. Ich setzte mich auf und sah mich um. Ein wenig entfernt sah ich ein kleines Feuer brennen und neben diesem saß der alte Mann. Sein Gesicht jedoch beunruhigte mich. Er sah aus, als blicke er in eine große Ferne, als wäre nur sein Körper hier, aber sein Geist wanderte an einem anderen Ort. Leise erhob ich mich und ging hinüber. An einem Holz über dem Feuer kochte Etwas in jenem seltsamen Panzer, welchen der Alte vor zwei Tagen angeschleppt hatte. Ich sah, dass die Schüssel des alten Mannes noch ein wenig von jenem brodelnden Gebräu, was überaus angenehm roch, enthielt. Dennoch traute ich mich nicht meine eigene Schüssel zu füllen. Vielleicht war dies ein magischer Trank, denn ich konnte mir gut vorstellen, dass Magier solch Gebräu zu sich nahmen, wenn sie ihre Kräfte sammelten. Allerdings glaubte ich im Inneren des Kessels, Fleischstücke und Bohnen zu entdecken, doch, man weiß nie.
Plötzlich sprach der Alte. ”Dann ist sie also auf dem Weg.”œ
Verwundert sah ich ihn an, seine Augen erhielten ihr Leuchten zurück und er schaute zu mir, mit eben jenem besorgten Gesichtsausdruck, welchen ich nun schon kannte und der für gewöhnlich von nicht gerade freundlichen Worten über meinen Geisteszustand begleitet war. Diesmal jedoch sagte er nichts dergleichen, sondern nahm die Kelle, welche in der Suppe hing und füllte meine Schüssel.
”Na du Langschläfer? Bevor du so aufwachst. Nun iss schon, noch älter darf der Tag nicht werden!”œ
Ich war es eigentlich nicht gewohnt, dass man mich immer nur kommandierte, doch, ich tat, wie mir geheißen und schlang eilig die warme Suppe herunter. Sie war außergewöhnlich gut und linderte zugleich die Schmerzen in meinen Armen und Beinen. Der Alte löschte inzwischen das Feuer, verstaute einige kleine Habseeligkeiten in seinem Gürtel und die übrigen, größeren in meinem Tornister. Kaum das ich mit meinem Frühstück fertig war, nahm er mir die Schüssel und den Löffel aus der Hand, spülte sie kurz mit Wasser ab und packte sie zu den übrigen Dingen in meinem Rucksack. Dann hielt er mir eine feiner Robe aus weißem Stoff hin. Ich sah ihn fragend an und er zum ersten Mal verwundert zurück.
”Meint Ihr nicht, dass sich das ein wenig zu deutlich von all dem Grün hier abhebt?”œ
”Ach Junge, lern doch endlich mal vor deine Füße, anstatt immer nur drum herum zu schauen”œ, antwortete er. ”Siehst du den Berg? Was meinst du wohl, warum man ihn den weißen Berg nennt? Könnte es daran liegen, dass er möglicherweise genau diese Farbe hat? Glaubst du nicht, dass du dich mit deinem schönen, neuen, braunen Lederwams wesentlich besser zu sehen bist, als wenn du diese Robe trägst,”œ fügte er hinzu.
Wortlos nahm ich das Kleidungsstück, doch bevor ich es anzog, befestigte ich noch das Kurzschwert mit seiner Scheide an meinem Gürtel und schulterte den Tornister. Ein Lächeln glitt über das Antlitz meines Begleiters. ”Ich sehe, du lernst doch noch etwas dazu,”œ sagte er beinahe väterlich. ”Dann auf, wir müssen noch vor dem Mittag auf dem Unterpass des Karmelin sein.”œ
Ohne einen Blick oder auch noch eine zusätzliche Erklärung ging er los. Ich verwischte noch schnell die Spuren rund um unser Lager und eilte ihm hinterher, durch Dickicht und dornenbewehrte Ranken.

Der Weg war nicht all zu steil, doch durch diese feucht Hitze, die im Inneren des Waldes herrschte, lief mir rasch der Schweiß von der Stirn und dem Rücken herunter. Schwer fiel mir bald jeder Schritt, doch Stered schien all dies nichts anhaben zu können und so riss auch ich mich zusammen und folgte ihm. Ein Blick über den Rücken, verriet mir, dass sich diesmal der Pfad nicht hinter uns verschloss, umso sanfte setzte ich die Füße auf den Boden, damit ich bloß keine zu tiefe Fährte hinterließ. Dem Alten schien dies wesentlich leichter zu gelingen als mir. Doch, wenn ich ihn mir so ansah, er war einen Kopf kleiner als ich und doch recht mager, musste also doch um einiges leichter sein als ich. Obendrein trug er keinen schweren Rucksack auf seinem Rücken und nur seine helle Robe, die nur unwesentlich dunkler war als die meine. Ich weiß nicht mehr, wie lange wir so gegangen waren, doch plötzlich lichtete sich der Wald und Stered verlangsamte seinen Schritt. Den Kopf nach Südwesten gewandt, sein Blick glitt angespannt durch die spärlicher werdenden Bäume. Plötzlich hielt er inne. Nur noch wenige Büsche trennten uns von einer größeren, sandigen Freifläche. Er hieß mich mit einem Handzeichen stehen bleiben. Dann ging er ein Stück vor und versteckte sich hinter einem der Büsche. Er winkte mir zu. Leise schlich ich zu ihm.
”Was ist?”œ fragte ich.
Riesengroß wurden seine Augen und er sah mich mit einem Ausdruck des Schreckens an.
”Junge, wie hast du das gemacht?”œ
”Was gemacht?”œ
”Ich hab dich nicht gehört. Ich denke, von nun an solltest du voran schleichen und nicht ich.”œ
”Aber ...”œ
”Nichts aber, schau mal dort hinunter.”œ
Ich traute meinen Augen nicht, als ich in die gewiesen Richtung sah. Dicke schwarze Rauchsäulen erhoben sich in einiger Entfernung gen Himmel.
”Taruner?”œ
”Ja mein Junge, und wenn ich mich recht erinnere, dann patrouillieren sie für gewöhnlich in großem Radius um ihr Lager,”œ antwortete Stered.
”Das müssen hunderte Feuer sein. Eine riesige Streitmacht, was wollen die hier?”œ
”Nun, mein Junge, was macht man wohl mit einer Armee in einem fernen Land?”œ und mit diesen Worten bestätigte er nur den Gedanken, der sich bereits ängstlich in meinen Kopf geschlichen hatte. Sie eroberten dieses Gebiet.
”Dann müssen wir die Bewohner warnen!”œ
”Shhhhh,”œ zischte er, da ich mich meine Erkenntnis die Vorsicht hatte vergessen lassen, ”du lebst wohl nicht so gern? Falls das so ist, dann renn doch einfach gleich in ihr Lager.”œ
Ich schüttelte den Kopf und murmelte ein Wort der Entschuldigung.
”Du musst wirklich lernen deine Gefühle zu kontrollieren und den Blödsinn aus deinen Kopf zu verbannen. Was denkst du, was es hilft, wenn wir jetzt die Leute in diesem Land zu warnen versuchen? Der Karmelin ist der einzige Weg hinüber nach Orewu, der jetzt noch frei ist. Wir können ja wohl kaum durch deren Lager schleichen. Nun, du vielleicht, aber ich ganz sicher nicht. Wir müssen zu sehen, dass wir so schnell wie nur möglich in dieses Gebirge kommen”œ, sprachs und sprang auf. Leicht geduckt rannte er über die freie Fläche. Ich konnte seine weiße Robe weithin, gegen den gelben Sand strahlen, sehen. Er duckte sich hinter einem Sandhügel und gab mir ein Handzeichen. Ich lief ihm hinterher. Die Augen nach Süden und Norden schweifen lassend. Sicher kam ich neben ihm wieder zum Liegen.
”Geh vor Junge, die halbe Strecke haben wir. Such dort Schutz hinter einem Felsen.”œ
Ich tat, wie er gesagt hatte. Der Sand knirschte unter meinen Füssen und einige Male rutschte ich auf ihm aus. Den Blick nun öfter nach Süden gerichtet, als nach Norden. Die Berge nahe vor mir.
Dann stürzte ich über Etwas und schlug lang auf den, nun langsam in Fels übergehenden Boden. Eine leise Stimme fluchte. Erschrocken riß ich meinen Kopf herum und sah in ein Gesicht, in welches zwei tiefschwarze Augen eingebettet und das von ebenso dunklem Haar umrahmt war. ”Sag kein Wort”œ, zischte mir die Stimme zu, ”kriech hinter den Fels, schnell!”œ
Ich fragte nicht nach, sondern robbte über den felsigeren Boden und legte mich hinter dem Steinblock auf die Lauer. Doch ich konnte nicht länger nur nach Süden blicken, als ich ein sanftes Knirschen näher kommen hörte. Dann lag sie neben mir. Ihr Gesicht zeigte die Wut, welche sie nicht an mir auslassen konnte. Ihre Stimme allerdings, so leise sie auch zu mir sprach, beinhaltete all dies, was ihr Gesicht ausdrückt. ”Bist du von allen guten Geistern verlassen? Wo hast du deine Augen? Dort vorn laufen zwei Taruner Patrouillen, jeder mit sechs, bis an die Zähne bewaffneten Krieger und du rennst hier über den Sand und machst einen Lärm wie eine wild gewordene Affenhorde. Was machst du hier überhaupt,”œ zischte sie mich an. Ich kam nicht einmal dazu meinen Mund auch nur halb zu öffnen. ”Halt die Klappe, ich will es gar nicht wissen.”œ
Ich musste mich wirklich zusammen reißen. Ich mochte diese junge Frau überhaupt nicht. Was dachte sie denn, wer sie ist? Schließlich wäre überhaupt nichts geschehen, wenn sie nicht da im Sand gelegen hätte. Sie kroch ein wenig näher an den Rand des Steins und spähte an ihm vorbei. Ich tat es ihr auf der anderen Seite nach. Sechs Taruner kamen in unsere Richtung. Nur noch wenige Schritte, dann wären sie am Felsblock. Ein Hand griff nach meiner Schulter. ”Zurück, sie dürfen uns nicht sehen,”œ sagte sie, diesmal viel sanfter als zuvor. Ich drehte mich auf den Rücken und rutschte dann vorsichtig zu ihr. Nun saßen wir nebeneinander, mit dem Rücken zu jenem Felsblock. Im Osten konnte ich die helle Robe von Stered hinter dem Sandhügel entdecken. Er lag flach auf dem Boden und sah in unsere Richtung. Hinter uns knirschte der Sand und klapperten die Waffen der Tarunerkrieger. Sie unterhielten sich in ihrer seltsamen Sprache. Vorsicht schienen sie nicht für wichtig zu halten, wie auch, in Rufweite bewegte sich eine weitere Patrouille und sicher waren noch einige weitere in der Nähe, dort unten am Pass des Gebirges stand eine riesige Armee. Sie brauchten nichts fürchten. Die junge Frau neben mir rückte näher. Ihr Körper zitterte. Die Wut war aus ihrem Gesicht gewichen und sie machte den Eindruck, als könnte sie sich nur mit großer Mühe davon abhalten, schreiend davonzulaufen. Ich spürte ihren Herzschlag durch ihren Arm, der nun an meinem ruhte. Die Taruner standen nun vor dem Stein hinter dem wir saßen und unterhielten sich. Plötzlich gaben sie ungewöhnlich gutturale Laute von sich. Die Nägel der linke Hand der Frau krallten sich in meinen rechten Arm. Unsere Blicke trafen sich und ich konnte durch ihre Augen in ihr aufgewühltes, verängstigtes Herz sehen. Die Taruner riefen immer noch, dann hörten wir das laute Klappern ihrer Waffen, welches sich von uns entfernte. Sie rannten in südöstliche Richtung. Dort konnte ich helle Lichtpunkte aufblitzen sehen und viele Patrouillen näherten sich diesem Ort. Die Frau entspannte sich.
”Na, was hast du denn da gefunden?”œ, fragte unvermittelt eine vertraute Stimme. Ich sah eine alte Hand unter einer leicht angegrauten, weißen Robe hervorschnellen. ”Stered Wegilt. Und wie heißt du mein Kind?”œ Sie gab dem alten Mann ihre zitternde Herzenshand, ”Sirajarta Tolwe”œ, antwortete sie mit zitternder Stimme. ”Na, na, Kindchen, keine Angst. Manor kennst du ja nun schon”œ, sagte er und fuhr mit sich verfinsterndem Gesicht fort, ”deine Leute da unten?”œ
”Nein, ich war als Gehilfin eines Händlers unterwegs. Sie haben uns vor zwei Nächten vor dem Breitpass angegriffen und uns gefangen genommen. Ich konnte heute Nacht fliehen”œ, sprudelte es aus ihr hervor, ”ich dachte, es wäre vorbei, als er über mich fiel. Ich fürchtete, die Taruner hätten mich gefunden, doch, das wird wohl nur noch einige Zeit dauern. Die da unten sind aus dem Dorf, zu welchem wir unterwegs waren. Ich glaube, sie werden nicht mehr lange leben.”œ
Stered sah sie lange an, er sagte nichts.
”Dann komm doch mit uns”œ, durchbrach ich die Stille zwischen den beiden, ”wir wollen über einen Pass dieses Berges.”œ
Ihre Augen weiteten sich vor Entsetzen und ungläubig fragte sie, ”Über den Karmelin? Vorbei an den Salzgeistern und dem Werenschier?”œ
Stereds Augen verrieten, dass er nur mit Mühe ein Lachen unterdrücken konnte. Völlig ruhig antwortete er Sirajarta, ”Kind, dies sind nur Mären. Nichts Böses lebt auf den Höhen des weißen Berges, noch nie wurde Blut euresgleichen dort oben vergossen und solang euer Herz nicht verdorben ist, wird euch dort auch nichts widerfahren. Der Werenschier ist ein Hüter, ein Wahrer des Friedens, ein Golem zwar, doch einer aus den Gebeinen der Erde und mit ihr verbunden.”œ
Ich sah an den kraftvoller werdenden Gesichtszügen der jungen Frau, dass Stereds Worte auf sie die gleiche Wirkung hatten, wie zuvor auf mich. Er verstand es den Menschen Hoffnung zu geben, irgendwie, selbst in Stunden, wo sie schiere Verzweiflung befiehl und sein Antlitz, von Vorahnungen getroffen, umwölkt schien. Freundlich lächelte er sie an und sie gab sich einen Ruck und stand auf.
”Manor, du bildest die Nachhut. Sirajarta, würdest du vornweg gehen, deine Augen und Ohren sind schärfer als die meinen?”œ
Sie nickte kurz und rannte dann in leicht gebeugter Haltung von Fels zu Fels, prüfte kurz gen Süden, ob sich Taruner näherten, doch, das Klirren und Schreien aus der Ferne kündete davon, dass der Kampf noch tobte. Ich warf noch einen Blick zurück zu jenem Palmenwald und sah noch ein paar Affen durch die Blätterdächer der höheren Bäume springen. Dann eilte ich Sirajarta und Stered hinterher.

Wir kamen erstaunlich schnell voran und bald erreichten wir einen kleinen Pfad, der tief in den Fels gegraben zu sein schien. Zur Rechten ragte steil die Wand des Berges auf, zur Linken erhob sich eine Art natürliche Mauer. Wir schlossen zueinander auf und marschierten mit nur drei Schritt Abstand den engen Weg hinauf. Langsam wechselte die Farbe des Steins von tiefem Schwarz zu grellem Weiß. Der Hohlweg schlängelte sich an der Westseite in das Gebirge hinauf. Je höher wir stiegen umso mehr nahm die Felsmauer zu unserer Linken ab, bis sie schließlich, als auch das Weiß das Schwarz gänzlich abgelöst hatte, völlig verschwand. Nach einer ganzen Weile hielt Sirajarta plötzlich an. Ihr Blick glitt hinab in den Südosten. Die Taruner schienen den Kampf gewonnen zu haben. Ihre Patrouillen liefen wieder über den gelben Sand, es sah aus, als bewegten sich die schwarzen Rüstungen wie von Geisterhand. Die Körper der Krieger waren gegen den Boden nicht zu erkennen. Noch weiter im Süden, in jener Richtung in der die Kriegsfeuer brannten, konnten wir nun schemenhaft die ersten Zelte erkennen. Es mussten bereits am äußersten Rand des Lagers einige hundert sein. Sirajarta sank der Mut und sie glitt, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, auf den weißen Boden des Weges. Ich half ihr auf und ging nun mit ihr gemeinsam voran. Stered ließ kein Wort des Unwillens vernehmen. Die Felswand zu unserer Rechten löste sich nun auf und zeigte viele Grate. Hinter einer dieser Steinspitzen, bog der Weg scharf nach Westen ab und öffnete uns den Blick auf eine weiße, zerrüttete Gebirgslandschaft mit hohen Kämmen und tiefen Tälern. Schroffe, alte Berge und in deren Mitte der Karmelin, weiß und strahlend in der brennenden Sonne des frühen Nachmittags.

Stunden folgten wir dem Pfad und der Tag ging mit uns. Die Sonne stand tief im Westen und in der Ferne sahen wir nichts als riesige, weiße Bergspitzen, Felsgrate und nur wenig dunklere tiefe Schluchten, da ließ Stered uns endlich ein wenig länger rasten. Er eröffnete uns, dass wir nur wenig Zeit zum Schlafen hätten, da er gedachte, so bald der Mond sich im Osten zeigte weiter zu laufen, bis wenigstens zur Mitwacht.
Sirajarta schlief beinahe sofort ein, ich hingegen starrte noch eine Weile über das weiße Land, während Stered wieder in seine seltsame Trance gefallen war. Meine eigenen Gedanken glitten in die Ferne, fort von all dem Weiß, das nun in den Augen brannte. Stered hatte Recht gehabt, die lohweiße Robe war beinahe nicht vom Boden zu unterscheiden, doch, meine Sehnsucht nach ein wenig Grün führte mich an die Hänge des Farmelinus. Das Antlitz meiner Schwester erschien vor mir, ihr lebensfrohes Lachen erklang in meinen Ohren und doch mischte sich, als ich meinen Blick in Richtung des Aredwendel gleiten ließ, das fahle, rotäugige Gesicht in dieses Bild. Es grinste wild, ja beinahe wahnsinnig und dann sprach es zu mir.

”Hey Manor, los, hoch mit dir, wir müssen weiter.”œ Ich schrak aus meinem Traum und vergaß sofort die Worte jenes entstellten Wesens über den Hängen des Aredwendel, des Wächterbergs von Konlir. Der obere Rand des vollen Mondes berührte gerade die Spitzen der Berge. Von seinem Licht fiel nur wenig direkt auf den Pfad, doch die umliegenden Bergkuppen und Felswände reflektieren genügend, damit er deutlich sichtbar vor uns lag. Sirajarta war bereits auf den Beinen und lief recht nervös auf und ab. Eilig aß ich ein paar der seltsamen Früchte, von welchen immer noch eine nicht geringe Anzahl in meinem Tornister verborgen war. Dann setzten wir unseren Weg fort. Wir schlängelten uns, dem blanken, ausgetretenen Weiß folgend, durch eine Unzahl hoher Felszacken, folgten dem Pfad in ein steiles Tal, kaum vier Handbreit Boden unter den Füssen und zur unserer Linken eine riesige, schwarze Schlucht, welche den Berg wie eine klaffende Wunde durchzog. Als wir Sohle des Tals erreicht hatten, stand der Mond bereits hoch am Himmel und sand genügend Licht aus, so das wir ohne weiteres dem Weg folgen konnten. Tausend und abertausende kleiner, spitzer Felsbrocken waren überall verstreut und in einer mondlosen Nacht, nur unter der Sterne Glanz, wären wir gezwungen gewesen zu rasten, um Stürze zu vermeiden. So jedoch gelangten wir schnell auf die gegenüberliegende Seite des Tals und fanden bald danach den Weg, die steile Wand hinauf. Kaum breiter war der Pfad hier. An einigen Stellen waren Stücke aus ihm heraus gebrochen, so das wir all unseren Mut zusammennehmen und über die Kluft überspringen mussten. Immer schickte Stered mich voraus, was ihm einmal sicher das Leben rettete, bekam ich doch gerade noch seine rudernden Arme zu fassen und bewahrte ihn so vor dem Sturz in die Tiefe, auf die spitzen Felsbrocken dort unten am Fuße der Felswand.

Der Mond war schon ein ganzes Stück nach Westen vorgerückt, als wir endlich die Steilwand erklommen hatten. Das letzte Stück hatte viel Kraft gekostet und wir alle waren müde. Doch Stered überredete uns noch eine Weile weiterzugehen. Mir fielen schon während dieser Zeit immer wieder die Augen zu, sie brannten und tränten, sehnten sich danach endlich, für einen belebenden Schlaf, geschlossen zu werden. Sirajarta ging es nicht viel anderes. Zweimal musste ich hinter ihr her rennen, weil sie vom Pfad abgekommen war. Stered schien ebenfalls beinahe zu schlafen, doch blieb er auf dem Weg und setzte mit einer unglaublichen Sicherheit über spitze Steine und kleine Löcher hinweg. Als die untere Seite des Mondes die Spitze der Berge im Westen berührte, hielt der alte Mann plötzlich an. Er drehte sich nach Osten und es kam mir so vor, als sähe er sich zwischen den Felszacken nach Etwas um.
”Folgt mir”œ, sagte er unerwartet, was mir verriet, dass ich richtig vermutet hatte. Zielstrebig ging er auf eine Gesteinsformation zu, welche die Form eines Vogels hatte. Wir trotteten, beinahe willenlos, hinter Stered her, nur noch von der Sehnsucht nach baldiger Rast am Laufen gehalten. Dann öffnete sich vor uns ein schmaler Spalt im weißen Fels und dahinter eine geräumige Höhle. Eilig schlüpften wir hindurch. Sirajarta ging nur noch wenige Schritte im Inneren, dann sank sie auf den Boden, legte ihren Kopf auf ihre verschränkten Arme und schlief sofort ein. Vorsichtig legte ich meine Decke über ihren Körper. Stered hingegen ging weiter in die Höhle hinein und kehrte mir einem Arm voll Holz wieder. Bald brannte, nicht weit von der Stelle, an welcher die junge Frau nun schlief, ein kleines, wärmendes Feuer. Meine Augen wollten nicht mehr offen stehen und so zog ich die Robe fester um meinen Körper und bettete meinen Kopf auf den Tornister. Es war unbequem, doch, es war ein Lager und schon bald spürte ich den süßen Schlaf nahen.
”Nun Manor, da sind wir heute ein ganzes Stück vorangekommen”œ, fing Stered mehr zu sich, als mit mir zu sprechen.
”Gut, dass es nicht regnete und das der Mond uns schien. Was denkst du über unsere Begleiterin?”œ
”Ich... Ich weiß nicht. Sie scheint eine gute Fährtenleserin zu sein,”œ antwortete ich schläfrig.
”Seltsamer Zufall, sehr seltsam,”œ murmelte der Alte in seinen Bart. Ich öffnete die Augen und es gelang mir noch einmal kurz den Kopf zu heben. Stered las die Frage von meinem Gesicht ab.
”Nun, das Wetter. Eine sternenklare, Mond beschienene Nacht und das Zusammentreffen mit dieser Frau. Seltsam, seltsam”œ, antwortete er, doch ich war mir nicht sicher, ob er wirklich zu mir sprach. Ich war jedoch nicht mehr fähig darüber nachzudenken, denn während der alte Mann sprach, war mein Kopf zurück auf den Tornister gesunken und meine bleischweren Lider hatten sich über meinen Augen geschlossen.

Der Schlaf kam schnell und trug mich hinfort zu den, vom Mond erhellten Wiesen meiner Heimat. Ich stand auf der Kreuzung, an welcher der Pfad von unserem Haus im Dorf den Grünweg traf. Ein kleines Wesen in nachtblauer Robe eilte beinahe lautlos heran. Es hielt kurz inne, sah auf den Wegweiser und ohne Notiz von mir zu nehmen, ging es rasch weiter in Richtung des Passes nahe des Aredwendel, jenes Tales, welches Konlir und den Wald des einsamen Baumes verband. In der Ferne erklangen Hörner, schrille Hörner und klare, tiefe Klänge antworteten. Das Wesen verschwand in der Nacht, seine Robe reflektierte kein Licht. Meine Schritte führten mich hinunter zur alten Kathedrale und ich sah Feuer auflodern, die Dörfer jenseits des alten, heiligen Ortes standen in Flammen. Ich sah die Wächter der nahen Grenzstation, mit gezogenen Schwertern an der Kathedrale vorbeieilen, ich hörte Kommandos und sah Feuerbälle und Blitze die Nacht zerreißen. Ich vernahm Schreie, jene die zum Angriff und jene, die nach dem Heiler riefen. Metall traf Metall und Feuer brannte Haut von den Knochen, Blitze zerfetzten Leiber. Lichter funkelten überall, heilende Regen wurden Beschworen, Vergiftungen kuriert. Pfeile surrten durch die Nacht, steckten umliegende Häuser in Brand, pechgetränkte Strohballen wurden den Hang nach Nawor hinabgerollt und flammten auf. Dann sah ich sie, jene fahlhäutigen, rotäugigen Wesen. Die Serumgeister griffen Konlir an. Ich wusste, dass nur noch wenige Wächter dort standen, zu viele waren zur Verteidigung an den Fronten zwischen Reikan und dem einsamen Wald gerufen, viele waren noch weiter gezogen, nach Anatubien, welches den Onlos abgerungen worden war und versuchten nun die Akademie zu halten. Mein Blick wand sich nach Osten und traf den Aredwendel. Wieder erschien über jenem Berg ein Gesicht, doch diesmal grinste es nicht hämisch oder wahnsinnig, sondern, dicke Tränen rannen aus dessen Augen und Kummerfalten übersäten es. Das Antlitz war mir vertraut geworden in den letzten Tagen. Dann sprach es zu mir und ich verstand nicht, wovon es redete, doch, trotz der Tränen, spürte ich, dass es zufrieden war. ” Dann ist sie also auf dem Weg und er hat den Sommermond gefunden.”œ Dann verschwanden die Bilder und ich sank ihn tiefen, kräftigenden Schlaf.
Zuletzt geändert von vnv_nation am 29. Aug 2005, 02:15, insgesamt 1-mal geändert.

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