Ein kleiner Feuervogel bringt dir einen Brief von Tryce vorbei. In dem Brief steht geschrieben:
Was ein Mormdat in der Weihnachtszeit erlebt hat
Wieder einmal herrschte der Winter in Mirimotha. Silbern glitzernder Schnee aus Latenia bedeckte fast alle Gebiete und es war sehr kalt. In Konlir hingen dicke Eiszapfen von den Dächern der Häuser und fast alle Menschen hielten sich in ihren warmen Häusern auf. In der Kanalisation von Konlir hingegen war von der eisigen Kälte jedoch kaum etwas zu spüren, die Temperatur war dort zu jeder Jahreszeit in etwa gleich. Wegen der unzähligen Abfälle und des schlimmen Gestanks hielten sich an diesem Ort aber nur wenige Wesen auf. Zu diesen gehörte auch ein junges Mormdat. Für es war die Kanalisation ein angenehmer Lebensraum, es gab immer genug zu essen, warme gelbe Bäche, in denen man baden konnte und sicher war man dort auch, sofern man den Kanalquallen aus dem Weg ging. Im Gegensatz zu seinen Artgenossen hatte das Mormdat aber nicht vor, sein ganzes Leben an diesem Ort zu verbringen. Von seinem Freund, einem Kaklatron, hatte das Mormdat erfahren, dass es an einem weit Entfernten Ort eine Stadt namens Laree gäbe, wo es sogar noch mehr Abfälle zu finden seien. Eines Tages besuchte das Kaklatron das Mormdat, als es gerade im Sammelbecken der Kanalisation badete.
„Hey, Mormdat, schau mal was ich gefunden habe!“
„Das sieht so aus wie der Zettel eines Notizblocks. Besonders gut schmecken die aber nicht.“
„Ich weiß, aber zum Essen habe ich ihn ja auch nicht mitgebracht. Schau mal, was darauf steht!“
Das Mormdat sah sich die seltsamen Zeichen genauer an und entzifferte:
Geistloser Eiskunstlauf-Wettbewerb! Wie jedes Jahr an Weihnachten laden der Zauberer der Bergwiesen und der Magier des Schutzes alle Wesen zum See des Friedens in Loranien ein, um auf dem Eis ihre schlechtesten Darbietungen zu zeigen. Am Abend wird uns der Weihnachtsmann besuchen, die Sieger küren und jedem Wesen ein Geschenk überreichen. Wir hoffen auf viele Teilnehmer und wünschen allen frohe Weihnachten!
„Sag mal, Kaklatron, was ist Weihnachten und wer ist der Weihnachtsmann? Davon habe ich noch nie gehört.“
„Ich habe ihn selbst noch nie gesehen, aber ein Verwandter von mir meinte, es sei ein sehr netter Mensch, der den guten Wesen dieser Welt und den Menschen Geschenke gibt. Er erscheint aber nur einmal im Jahr, dieser Tag wird von allen Weihnachten genannt.“
„Schenkt er einem auch frisch verrottete Abfälle? Das wäre wirklich nett!“
„Das weiß ich leider nicht, aber wir können es ja herausfinden, indem wir uns auf den Weg zum See des Friedens machen! Wenn wir noch heute aufbrechen, müssten wir genau an Weihnachten dort ankommen.“
„Einverstanden. Diesen Weihnachtsmann möchte wirklich gerne einmal kennen lernen!“
So machten sich das Mormdat und das Kaklatron auf den Weg durch das Abflusssystem von Konlir nach Loranien. Es war zwar schon lange her, dass das Mormdat diese Kanäle und stillgelegten Tunnel benutzt hatte, doch es konnte sich glücklicherweise noch an den Weg erinnern. Je näher sie ihrem Ziel kamen, desto mehr Wesen begegneten den beiden Kanalisationsbewohnern, so auch eine kleine Gruppe untoter Bürger aus Buran, die durch das unterirdische Kellersystem nach Loranien reisten.
Schließlich erreichten das Mormdat und das Kaklatron einen Tunnelausgang in der Nähe des Sees des Friedens. Als sie ins Freie kamen, war das Mormdat verwundert.
„Nanu, hier ist ja alles so weiß. Wie langweilig! Da gefällt mir das braun in der Kanalisation besser. Kalt ist es hier auch noch. Ich hoffe, dass es bald Abend wird und der Weihnachtsmann sich nicht verspätet, sonst bekomme ich noch eine Erkältung.“
„Da hast du Recht, es könnte wirklich etwas wärmer sein. Normalerweise ist übrigens nicht immer alles weiß, sondern nur im Winter, dann fällt oft viel Schnee.“
„Ob er wohl gut schmeckt?“
Das Mormdat probierte eine Handvoll Schnee.
„Pfui! Nein, er schmeckt definitiv nicht gut.“
„Lass uns lieber zum See gehen, da vorne ist er ja schon. Dort ist ja richtig viel los. Pass aber auf, wenn du...“
Ehe das Kaklatron seinen Satz beendet hatte, war das Mormdat, beflügelt von Neugierde, zum See losgestürmt und auf das Eis gerannt.
„Unglaublich! So viele verschiedene Wesen habe ich ja noch nie auf einmal gesehen. Waldschlurche, kleine Laubbären, Sprungechsen, Pilzwachteln und … hui, das ist aber rutschig hier! Hilfe!!“
Das Mormdat schlitterte unbeholfen über das Eis und rempelte schließlich eine fast menschliche Kreatur mit Mantel und Stab an.
„Hey, was bist du denn für ein kleiner Rabauke?“
„Ich bin ein Mormdat. Entschuldige bitte, dass ich dich angerempelt habe! Wer bist du denn eigentlich?“
„Ich bin der Zauberer der Bergwiesen. Es kommt eigentlich nicht so oft vor, dass man mich nicht kennt, aber wenn ich mich nicht irre, gehören Mormdats nicht zu den Wesen, die oft an der Oberfläche der Welt wandeln“
„Ja, das stimmt. Meistens bin ich in der Kanalisation von Konlir anzutreffen.“
„Das erklärt einiges.“
Der Zauberer der Bergwiesen rümpfte die Nase. Was hier wohl so unschön riechen mag, wunderte sich das Mormdat. Immerhin konnte es selbst nicht sein, schließlich hatte es auf der Reise regelmäßig in den Abwässern gebadet und sollte demnach gut duften. Inzwischen war auch das Kaklatron eingetroffen.
„Du musst wohl der Zauberer der Bergwiesen sein. Wir sind hier wegen des geistlosen Eiskunstlauf-Wettbewerbs.“
Das Kaklatron hielt dem Zauberer den Notizzettel unter die Nase, woraufhin dieser zum Unverständnis des Mormdats wieder die Nase rümpfte.
„Das ist ja noch von letztem Jahr! Dieses Jahr machen wir etwas anderes.“
„Und das wäre?“
„Wir schmücken die größte und schönste Tanne der Baumzucht hier in Loranien. Da der Weihnachtsmann heute etwas später kommt und es bis dahin schon sehr dunkel geworden ist, ist es auch wichtig, dass wir für seine Orientierung auf die Spitze des Baumes die Kugel eines Sonnenstabes setzen. Sie wird gerade über das Eis transportiert. Ihr beiden könnt euch schon mal auf den Weg zur Baumzucht machen, jede Hilfe ist willkommen!“
Das Mormdat war schon gespannt, wie groß die Tanne wohl sein mochte.
„Komm Kaklatron, gehen wir!“
Auf dem Weg über das Eis riefen zur größer werdenden Verwunderung des Mormdats gleich mehrere Wesen: „Puh, was stinkt denn hier so fürchterlich?!“ Offenbar war die Nase des Mormdats bei den niedrigen Temperaturen nicht gewillt, ihren Dienst zu leisten, denn es konnte keinen Gestank wahrnehmen. Das Mormdat hatte die Baumzucht fast erreicht und fragte sich gerade, wie der Weihnachtsmann wohl aussehen mochte, als plötzlich großer Lärm hinter ihm ertönte. Wie aus dem Nichts erschienen schwarze, vermumte Gestalten aus dem Eis und fielen über die Wesen auf dem Eis her. Es spielten sich turbulente Szenen vor den Augen des Mormdats ab: Eine Schar der finsteren Angreifer stürzte sich auf den Transport der Sonnenkugel, andere attackierten zischend die Gruppe untoter Bürger, ein besonders großer Finsterling schoss einen blauen Blitz auf einen Waldvogel und ein kleineres, frech lachendes Finsterwesen entriss dem Zauberer der Bergwiesen seinen Stab und stellte ihm ein Bein. In großer Panik versuchten die meisten Wesen vom Eis zu fliehen, so auch das Kaklatron, doch es wurde von einem der größten Angreifer gefasst und in weite Ferne geschleudert. Alles ging unglaublich schnell und war ebenso schnell wieder vorbei, als ein kalter Wind über die Oberfläche des Sees wehte und die mysteriösen Unholde mit ihm verschwanden.
Nachdem die Gefahr offenbar nicht mehr bestand, rutschte das Mormdat hektisch auf dem Eis herum, um nach dem Kaklatron zu suchen, konnte es aber nirgendwo finden. Überall waren die Spuren des Angriffs zu sehen. Von den untoten Bürgern war nur noch ein Haufen zappelnder untoter Knochen übrig, der magisch attackierte Waldvogel sah ungewöhnlich aus, sein ganzer Körper schien aus Eis zu bestehen. Ein in einen Mantel gehülltes Wesen half dem Zauberer der Bergwiesen auf die Beine, das Mormdat vermutete, dass dies der Magier des Schutzes sei und ging auf ihn zu.
„Was um alles in der Kanalisation war das?“
„Ich weiß es auch nicht, ich dachte erst, dass es Schattenkreaturen des Weltenwandlers seien, aber diese sahen anders aus. In dieser Welt gibt es offenbar mehr böse Kreaturen, als wir dachten. Das Schlimmste ist, dass die Sonnenkugel gestohlen wurde, ohne sie wird uns der Weihnachtsmann in der Nacht nicht sehen können!“
„Das ist auch schlimm, aber dass mein Freund, das Kaklatron verschwunden ist, ist meine größte Sorge derzeit!“
„Piep!“
Der Magier des Schutzes und das Mormdat drehten sich um und erblickten den vereisten Waldvogel, der sich zu ihnen gesellt hatte.
„Piep! Ich habe anscheinend durch den Einfluss des Zaubers erfahren, um wen es sich bei den Angreifern handelte. Es waren Finstereis-Bewacher, die aus der Finstereishöhle losgezogen sind, um die Sonnenkugel zu stehlen. Den Grund dafür weiß ich jedoch nicht.“
Der Magier des Schutzes runzelte die Stirn.
„Wie auch immer, wir brauchen die Sonnenkugel dringend. Kannst du uns zu der Finstereishöhle führen?“
„Ja, aber sie ist weit entfernt und bis zum Einbruch der Nacht werdet ihr nicht einmal dort angekommen sein. Ich kann jedoch mit einem kleineren Wesen dorthin fliegen und vielleicht kann es die Kugel unbemerkt an sich bringen, denn in einem direkten Kampf hätte keiner von uns eine Chance gegen die Finstereis-Bewacher.“
„Ich glaube nicht, dass jemand freiwillig die Höhle dieser Kreaturen betreten wollen würde.“
Der Magier des Schutzes war verzweifelt. Da zupfte ihn das Mormdat am Mantel.
„Ich würde gerne dorthin gehen. Ich habe zwar Angst vor diesen finsteren Bewachern, aber bin auch neugierig, wie es in ihrer Höhle aussieht und vor allem möchte ich wissen, wohin mein Freund verschwunden ist. Wenn ich schon einmal dort wäre, könnte ich auch nach deiner Sonnenkugel suchen.“
„Das würdest du tatsächlich tun? Du bist aber ein mutiges Mormdat!“
„Ich bin ja auch extra hierher gekommen, um den Weihnachtsmann zu sehen, da wäre es sehr schade, wenn das nun nicht klappen würde. Eis-Waldvogel, oder wie ich dich auch immer nun nennen soll, können wir aufbrechen?“
„Piep! Das können wir. Klettere auf meinen Rücken und es geht los!“
Kaum hatte das Mormdat dies getan erhob sich der Eis-Waldvogel in die Lüfte.
Der Magier des Schutzes, der immer kleiner wurde, rief den beiden bevor sie seinem Sichtfeld entschwanden hinterher: „Beeilt euch, es dauert nicht mehr lange bis der Weihnachtsmann eintreffen wird!“
Als das Mormdat und der Eis-Waldvogel sich kurz vor Konlir befanden, wurden seine Flügelschläge langsamer.
„Piep! Meine Kräfte lassen nach, bis zur Finstereishöhle werde ich es mit dir auf meinem Rücken nicht schaffen.“
„Wenn du mich hier bei Konlir absetzt, kann ich durch die Kanalisation und die Katakomben zum Gasthaus nach Torihn gelangen. Schaffst du es, mich von dort aus zur Finstereishöhle zu bringen?“
„Ich denke schon. Ich werde in der Nähe des Gasthauses auf dich warten. Pass auf dich auf!“
Kaum hatte der Eis-Waldvogel das Mormdat abgesetzt, verschwand es in der Kanalisation. Dort waren zwar wie immer verführerisch duftende Abfälle zu finden, aber diesmal blieben sie unangetastet, da das Mormdat keine Zeit zum Naschen aufbringen konnte. So schnell es ging, rannte es durch die Kanalisation und den Tunnel der Katakomben, bis es sich durch ein Loch in eine Kabine zwängte, die sich im Gasthaus von Torihn befand. Eine hölzerne Tür mit einem herzförmigen Loch trennte die Kabine vom Schankraum ab, den das Mormdat nun vorsichtig betrat. Menschen und andere Bewohner dieser Welt produzierten zwar köstliche Abfälle und andere Leckereien, die man in der Kanalisation finden konnte, doch es sollte schon welche gegeben haben, die Mormdats und andere friedliche Wesen einfach so erschlagen hatten. Das Mormdat hoffte, dass dies für den Weihnachtsmann nicht zutraf. Da der Schankraum nicht ganz gefüllt war, konnte das Mormdat im schummrigen Licht der Kerzen einen Teil des Raums unbeschwert durchqueren, ehe es an einem Tisch gelangte, an dem ein benebelt wirkender Mann mit dickem Bauch und einem auffällig großen, weißen Bart saß und mehr von dem Inhalt seines Kruges auf seine Weste kippte, als er trank. Gerade wollte sich das Mormdat an ihm vorbeischleichen, als er seinen Krug auf den Tisch hämmerte und in Richtung einer Frau blickte, die aus großen Fässern ein Getränk mit abscheulichem Geruch, wie das Mormdat fand, in Becher füllte.
„Kiraah, gibb mer nochn Tauneckarbähr!“
„Heute ganz bestimmt nicht mehr, du hast schon genug über den Durst getrunken. Außerdem stinkt es hier wohl deinetwegen fürchterlich. Du solltest besser gehen!“
Der Mann brummte ein paar unverständliche Worte, stand schwankend auf und lief in Schlangenlinien durch die Tür nach draußen. Gerade wollte das Mormdat den gleichen Weg nehmen, als es hinter sich ein fauchen hörte. Als es sich umdrehte, blickte es in die Augen einer Bestie, wie sie die Mormdats seit jeher fürchten: eine Hauskawutze. Diese sprang nun nach vorne und versuchte, ihre Beute, das Mormdat, mit ihren scharfen Klauen zu packen. Das Mormdat kreischte auf und rannte um sein Leben, doch der Ausgang war noch ein gutes Stück entfernt. Auf dem Weg dorthin zerlegte die Kawutze einige Teller und Krüge, als sie auf einen Tisch sprang, woraufhin ein betrunkener Rabauke eine Keilerei unter den Gästen anzettelte. Das Mormdat nutzte die Gelegenheit und sprang durch ein Fenster, dessen Scheibe mit einem Stuhl zerschlagen wurde, nach draußen. Glücklicherweise hielten sich Hauskawutzen eben nur in Häusern und nicht im Freien auf, somit war das Mormdat gerade noch einmal mit dem Leben davongekommen. Erleichtert erblickte es den Eis-Waldvogel, der wie versprochen in der Nähe des Eingangs gewartet hatte.
„Wir haben keine Zeit zu verlieren! Der Weihnachtsmann könnte jetzt schon auf dem Weg zum See des Friedens sein. Schnell zur Finstereishöhle. Piep!“
Als sie den Eingang zur Finstereishöhle erreicht hatten, blieb der Eis-Waldvogel stehen.
„Ab hier musst du alleine weiter, dort drinnen ist es für mich zu gefährlich. Viel Glück!“
Dem Mormdat war auch alles andere als wohl, als es die Höhle betrat, aber es hatte sich nun einmal in den Kopf gesetzt, den Weihnachtsmann zu sehen und herauszufinden, was mit einem Freund dem Kaklatron geschehen war und so machte es sich auf die Suche nach der Sonnenkugel. Die Höhle schien verlassen zu sein, was dem Mormdat nur recht war. Als es sich etwas tiefer in der Höhle befand, sah es ein Schimmern in der Dunkelheit. Es war die Sonnenkugel! Sie erhellte die Höhle mit ihrem Licht. Das Mormdat schritt auf sie zu, doch bevor es am Ziel angekommen war, fuhr ein vertrauter, eisiger Wind durch die Höhle und aus dem Nichts erschienen jene Wesen, die am See des Friedens für das Chaos gesorgt hatten: die Finstereis-Bewacher. Das Mormdat wich erschrocken zurück, bis es an der Wand gegen einen schwach grün leuchtenden Stein stieß. Es saß in der Falle und als ihm sich einige der finsteren Kreaturen ihm zuwandten, glaubte es, sein letztes Stündlein habe geschlagen. Doch stattdessen beugte sich einer der größeren Bewacher zu ihm herab und sah dabei eher neugierig als aggressiv aus.
„Wer bist denn du? Solch ein Wesen wie dich habe ich bisher noch nicht gesehen.“
„Ich äh… ich bin ein Mormdat. Bitte tut mir nichts!“
„Wieso sollten wir? Du stellst weder für uns noch für die Höhle, die wir bewachen, eine Gefahr dar. Wir dulden normalerweise niemanden hier, aber in deinem Fall können wir ja eine Ausnahme machen. Was führt dich denn eigentlich in diese Gegend?“
Das Mormdat war vollkommen verwirrt. War dies eine Falle? Wollten die Bewacher lediglich herausfinden, wer es geschickt hatte, um denjenigen einen unheilvollen Besuch abzustatten, nachdem sie sich seiner entledigt hatten? Andererseits wirkten die finsteren Kreaturen im Moment längst nicht so gefährlich und hinterhältig wie auf dem See des Friedens. Da es nicht wollte, dass sich daran etwas änderte, beschloss es, dem großen Finstereis-Bewacher Auskunft zu geben.
„Ich möchte die Sonnenkugel, die ihr vom See des Friedens entwendet habt, wieder zurückholen, damit der Weihnachtsmann in der Dunkelheit die Stelle findet, wo er zu erscheinen hat.“
„Entwendet? See des Friedens? Weihnachtsmann? Ich weiß nicht, wovon du sprichst, aber wenn du die Sonnenkugel haben willst, muss ich dich enttäuschen. Sie spendet ein so schönes Licht für unsere sonst so schrecklich finstere Finstereishöhle, daher möchten wir sie behalten. Bei all unserer Macht ist es uns trotzdem einfach nicht möglich, eine Beleuchtung zu entwickeln. Ehrlich gesagt weiß ich aber nicht, wie wir an die Sonnenkugel gekommen sind. Wisst ihr es vielleicht?“
Die anderen Finstereis-Bewacher wirkten ebenfalls ratlos. Aus irgendeinem Grund schien sich keiner mehr an das erinnern zu können, was sich auf der Eisfläche des Sees des Friedens abgespielt hatte. Dem Mormdat, das sich von dem großen Schrecken ein bisschen erholen konnte, kam eine Idee.
„Ihr müsst wissen, der Weihnachtsmann verteilt an Weihnachten Geschenke an die guten Wesen dieser Welt. Wenn ihr mir die Sonnenkugel gebt, kann euch der Weihnachtsmann ja eine noch bessere Beleuchtung für eure Höhle schenken. Somit hätte sich eure Lage verbessert und ihr hättet mir und all den anderen Wesen beim See des Friedens einen großen Gefallen getan!“
„Das klingt ja schön und gut, aber wenn wir dir die Sonnenkugel einfach so geben, heißt das ja noch nicht, dass du dich an deinen Teil der Abmachung halten würdest. Wie können wir sichergehen, dass wir wirklich bekommen, was du uns versprichst?“
Das Mormdat überlegte einen Augenblick, bis es wieder einen passenden Einfall hatte.
„Ein Teil von euch könnte mich doch zum See des Friedens begleiten, es ist doch sicherlich möglich, dass ihr mich dorthin bringen könnt. Wenn euch der Weihnachtsmann euren Wunsch nicht erfüllt, könnt ihr die Sonnenkugel wieder haben. Wir müssten nur sofort aufbrechen, denn es ist schon sehr spät und der Weihnachtsmann müsste jeden Moment eintreffen.“
„Nun gut. Ich werde dich mit einigen meiner Bewacher nach Loranien bringen. Halte dich einfach an mir fest, wir werden sogleich am See des Friedens erscheinen.“
Als das Mormdat den großen Finstereis-Bewacher anfasste, wurde es mitsamt einigen anderen Bewachern von dem eisigen Wind erfasst, der mit dem Erscheinen und Verschwinden der finsteren Kreaturen einherging und flog mit atemberaubender Geschwindigkeit aus der Höhle in Richtung Loranien. Der Eis-Waldvogel, der das Mormdat in der Gruppe der Finstereis-Bewacher erblickte, traute seinen Augen nicht und folgte ihnen in einem großzügigen Abstand.
Im nu waren die Bewacher und das Mormdat beim See des Friedens angekommen, der notdürftig von Glühwürmchen beleuchtet wurde. Als die dort versammelten Wesen die Finstereis-Bewacher erblickten und wieder Panik auszubrechen drohte, nahm das Mormdat die Sonnenkugel von einem der Bewacher entgegen und ging auf den Zauberer der Bergwiesen zu, der ziemlich verängstigt wirkte.
„Keine Angst, diese Finstereis-Bewacher sind friedlich, sie werden euch nichts tun! Ich habe hier auch die Sonnenkugel, die ihr zur großen Tanne bringen könnt. Der Weihnachtsmann müsste schließlich jeden Moment eintreffen.“
Nachdem er seine Schockstarre überwunden hatte, nickte der Zauberer der Bergwiesen und ließ die Sonnenkugel von ein paar Waldschlurchen zur Baumzucht bringen. Danach beugte er sich zum Mormdat herab.
„Ich kann es kaum glauben, dass diese Finsterlinge auf einmal friedlich sein sollen. Bitte erzähle mir, was geschehen ist!“
Auf dem Weg zur Baumzucht berichtete das Mormdat dem Zauberer der Bergwiesen leise alles, was sich auf seiner Reise ereignet hatte. Die Finstereis-Bewacher folgten ihnen außer Hörweite. Inzwischen war auch der Eis-Waldvogel eingetroffen, der vom Zauberer der Bergwiesen erfuhr, was sich ereignet hatte. Kaum war die Gruppe bei der Baumzucht eingetroffen, wo eine wirklich riesige und bunt geschmückte Tanne unter Anleitung des Magiers des Schutzes mit der Sonnenkugel auf ihrer Spitze versehen wurde, als man leises Glockenläuten vernehmen konnte. Vom Himmel herab flog ein merkwürdiges Gefährt, wie das Mormdat fand und landete auf der Eisfläche des Sees. Aus dem Gefährt stieg zur großen Überraschung des Mormdats ein Mann, der dem aus dem Gasthaus in Torihn verblüffend ähnlich sah: dicker Bauch, auffällig großer, weißer Bart. Aber das konnte unmöglich der Weihnachtsmann gewesen sein! Außerdem hatte dieser im Gegensatz zu dem Mann im Gasthaus einen roten Mantel und eine rote Hose an und trug eine rote Mütze mit weißem Bommel. Allerdings schwankte der Weihnachtsmann bei seinen Schritten etwas verdächtig, als er aus seinem Gefährt einen großen Sack holte und auf die Wesen zuschritt, die sich um die große Tanne versammelt hatten.
„Seid gegrüßt,meine Freunde! Ich wünsche euch allen frohe Weihnachten! Ho, ho, … hoppla, ist das rutschig!“
Plumps! Ehe er sich versah, landete der Weihnachtsmann mit einem auf seinem kugelförmigen Bauch und rutschte in einen Schneehaufen vor dem Zauberer der Bergwiesen. Dieser half dem Weihnachtsmann wieder auf die Beine und flüsterte ihm dabei etwas ins Ohr. Der Weihnachtsmann nickte daraufhin etwas benommen und wandte sich dann der Menge zu, die ihn mit großen Augen ansah.
„Wie jedes Jahr werde ich jedem von euch ein Geschenk überreichen. Heute aber sehen wir einige neue Gäste, die sich hier eingefunden haben und zwar das Mormdat hier und aus der Finstereishöhle einige Finstereis-Bewacher. Ich habe zwar keine Geschenke dabei, die genau für sie bestimmt sind, aber ich bin sicher, dass ich jedem eine Freude machen kann. Lasst nun das Fest beginnen!“
Während die untoten Bürger, die man aus den untoten Knochen in der Zwischenzeit wieder zusammengesetzt hatte, mit anderen Wesen um die große Tanne tanzten, verteilte der Weihnachtsmann aus seinem Sack an jedes Wesen ein Geschenk. So bekamen unter anderem die Waldschlurche einen Beutel Lopaknüsse, der Eis-Waldvogel bekam sogar eine Zeichnung von sich selbst überreicht, was ihn sehr erfreute. Schließlich war das Mormdat an der Reihe.
„Der Zauberer der Bergwiesen hat mir erzählt, was für ein mutiges Mormdat du bist. Da ich für dich eigentlich kein Geschenk eingeplant hatte, du aber wirklich heldenhaftes geleistet hast, darfst du dir etwas aus meinem Sack für dich aussuchen, ganz egal was es ist!“
„Danke, lieber Weihnachtsmann!“
Das Mormdat steckte den Kopf in den Sack des Weihnachtsmannes und begann, die Geschenke zu durchwühlen. Dabei stellte es fest, dass in dem Sack neben den Geschenken auch viele leere Flaschen lagen, deren Inhalt offenbar ähnlich roch wie das übelriechende Getränk, das die Wirtin des Gasthauses aus den Fässern gezapft hatte. Wirklich Merkwürdig. Dann stieg dem Mormdat jedoch ein angenehmerer Geruch in die Nase, als es am Boden des Sacks angekommen war. Ein Ruck und schon war befreit, was das Geschenk des Mormdats werden sollte: ein sehr wohlriechendes Stück Papier, das vermutlich ebenso gut schmecken würde. Der Zauberer der Bergwiesen rümpfte einmal mehr die Nase, was dem Mormdat nun aber auch egal war. Der Weihnachtsmann blickte verdutzt drein.
„Oh, anscheinend hast du meinen alten Tolloschein gefunden. Ich dachte, ich hätte ihn verloren. Bist du dir wirklich sicher, dass du ihn haben willst?“
„Natürlich! Eine solche Köstlichkeit findet man nicht alle Tage. Das Schmeckt viel besser als alte Notizblockzettel!“
Während sich das Mormdat über sein Geschenk sehr freute, konnten andere Wesen nur die Köpfe schütteln, was das Mormdat aber nicht wahrnahm. Als letztes traten die Finstereis-Bewacher zum Weihnachtsmann.
„Hm, mein Sack ist nun leer, aber ihr sollt trotzdem bekommen, was ihr verdient habt. Was wünscht ihr euch denn?“
„Unsere Finstereishöhle ist so furchtbar finster, wir wollen nicht ständig in der Dunkelheit leben müssen. Kannst du uns eine Möglichkeit schenken, Licht in unsere Höhle zu bringen?“
Der Weihnachtsmann legte seine Stirn in falten und überlegte eine Weile.
„Nun, einen solchen Wunsch zu erfüllen ist nicht gerade einfach, aber ich werde tun, was ich kann. Dazu müsste ich euch aber zu eurer Finstereishöhle begleiten.“
„In Ordnung. Fliege uns einfach hinterher, wir bringen dich dorthin.“
Gerade als der Weihnachtsmann sich von allen verabschieden wollte und mit den Finstereis-Bewachern abreisen wollte, fiel dem Mormdat entsetzt etwas ein.
„Oh nein! Ich habe vor lauter Aufregung meinen Freund das Kaklatron vergessen. Wie konnte mir das nur passieren! Lieber Weihnachtsmann, weißt du vielleicht, wo es sich befindet?“
„Ein Glück, dass es dir gerade noch rechtzeitig eingefallen ist! Lass mich nachdenken … ja, ich weiß wo es sich befindet. Es befindet sich in Laree und ist wohlauf, wenn auch etwas geschwächt. Ich habe Laree bereits besucht und dort auch ihm ein Geschenk gegeben. Wenn du magst, kann ich dich ja auch dort absetzen, bevor ich zur Finstereishöhle gehe.“
„Das wäre wunderbar! Ich wollte immer schon einmal nach Laree reißen.“
Der Weihnachtsmann hob das Mormdat in sein Gefährt hinein und flog über die schneebedeckten Gebiete nach Laree, die Finstereis-Bewacher folgten ihnen. In Laree angekommen gab es ein freudiges Wiedersehen des Mormdats mit seinem Freund. Die beiden hatten sich eine Menge zu erzählen
Unterdessen hatte der Weihnachtsmann auch die Finstereis-Bewacher beschenkt. Er versichterte ihnen, dass sie von nun an Licht in ihre Höhle bringen könnten, wenn sie ein gelbes Symbol in ihrer Höhle berühren würden. Die Finstereis-Bewacher waren alle sehr erfreut darüber und hatten somit erhalten, was ihnen an ihren Taten gemessen zugestanden hatte.
Das mutige Mormdat erfuhr davon jedoch nichts mehr, es verbrachte mit dem Kaklatron noch ruhige und besinnliche Tage im verschneiten Laree und mit etwas Glück kann man es dort gelegentlich beim Abfall verspeisen vorfinden und - sofern man ihm nichts tun will - erzählt bekommen, was es in der Weihnachtszeit erlebt hat.