Du argumentierst auf einer sehr eingeschränkten, axiomsbehafteten Basis. Mit deinen Wertevorstellungen ist diese Argumentationskette nicht zu widerlegen. Jedoch will ich mal in Frage stellen, ob diese Wertevorstellung richtig ist...
Die Frage ist doch, wo fängt Verantwortung an, und wo hört sie auf?
Beispiel Waffenproduktion: Wer vor kurzem Lords of War gesehen haben mag (ein gut gemachter Film, der vollkommen unverdient die Kritik bekommen hat, er sei nur die Selbstbeweihräucherung eines Waffenmonguls), hat sicherlich einige interessante Dinge über den Verbleib der Waffen (und Munition) erfahren. Ich unterstelle mal, daß der Film recherchiert war, also die Zahlenangaben in etwa stimmen mögen. Ist aber nicht so wichtig.
Daß ein Waffenhändler, der Waffen und Munition in Bürgerkriegländer schmuggelt, Verantwortlich für Kriegstreiberei ist, scheint jedem einleuchtend. Diese Verantwortung würde man gerne auch an seine Familie geben, ob sie nun von den Geschäften ihres Familienmitgliedes weiß, oder nicht.
Doch wie steht es mit dem Munitionsarbeiter, der die Kugeln herstellt. Ich rede hier nicht von nem Firmenboss, sondern von einem einfachen Fließbandarbeiter. Auch im muß bewußt sein, daß ein Teil der Munition, an dessen Produktion er mithilft, in irgendleutens Körper landen wird. Trägt dieser eine besondere Verantwortung gegenüber z.B. Somalia? Müssen seine Kinder sich nun schämen, da ihr Tisch mit dem Tod von Kindern gedeckt wird? Müssen sie sich mehr schämen, als die Kinder des Waffenhändlers, oder weniger?
Aber vielleicht noch zu dicht an der Quelle. Was ist mit dem Grubenarbeiter, der das Metall aus der Grube holt? Auch ihm wird klar sein, daß Länder aus Stahl nicht nur Werkzeuge, sondern auch Waffen herstellen. Ist er ebenso mitschuldig? Soll er seinen Job deswegen an den Nagel hängen?
Die Frage also nochmal: An welcher Stelle hört die Kette der Verantwortlichkeit auf?
Vor Gericht wird auch kein Werkzeugladen zur Beihilfe zum Mord verklagt, nur weil sie einem Mann eine Axt verkauft haben, mit der dieser 3 Minuten später seine Frau geköpft hat. Wieso? Da der Laden die Tat des Mannes nicht hätte voraussehen können.
Die Art der Diskussion, die du führst, führt auf einen Abweg, der nicht begangen werden sollte. Stelle dir vor, 2 Frauen arbeiten in einem Bürogebäude. Es bricht ein Feuer aus, beide kommen nicht raus und werden bewußtlos. Die eine Frau wird von der Feuerwehr gerettet, die andere verbrennt. Ist die überlebende Frau nun schuld am Tod der anderen? Denn wäre sie nicht da gewesen, dann hätte die Feuerwehr die Zeit gehabt, die andere zu retten.
Und genau an diese Stelle sage ich
stop. Verantwortung funktioniert nicht so und darf auch so nicht funktionieren. Ich darf mich nicht verantwortlich machen für jedes Kind, welches in Afrika an Hunger stirbt, nur weil ich nicht direkt daneben stehe und dem Kind Nahrung gebe (was ja ohne weiteres in meiner Macht stünde). Diese Sichtweise ist selbstzerstörerisch. Aber genau diese Sichtweise verlangst du in der Ebene des Staatbewußtseins.
Tijana hat geschrieben:Das Haus in dem ich wohne (wir sind hier zur Miete) gehörte einst einer jüdischen Familie, diese wurde enteignet, deportiert und schliesslich vergast. So lebe nicht nur ich sondern es gibt 100-tausende solcher Immobilien. Ich mache mal ein Beispiel: ein Grossvater tötet einen Menchen, nimmt dessen Hab und Gut, gibt es seinem Sohn und dieser wiederum seinem Sohn
Wo liegt deine Verantwortung in dem Fall? Daß du das Kind des Mannes bist, der einen Mietvertrag mit dem Mann abgeschlossen hat, dessen Vorfahre (Vater oder eher Großvater) Nutznießer war, zu der Zeit in deiner Stadt und auf Haussuche gewesen zu sein, als dieses Haus freistand? (ich gehe mal davon aus, daß der Vorfahr deines Vermieters nicht selbst den Räumungsbefehl für die Juden gegeben hat).
Du merkst, die Verkettung wird an dieser Stelle ebenso lang, wie sie es vorher beim Munitionsbeispiel geworden war. Was wäre, wenn Hitler nicht an die Macht gekommen wäre? Die Familie wäre nicht enteignet und getötet worden. Der Krieg hätte niemals stattgefunden. Aber hätten deine Eltern überhaupt ein Mietshaus suchen müssen? Hätten deine Großeltern ihren Kindern dann nicht vielleicht ein Haus vererben können, welches nicht im Krieg zerstört wurde (oder genügend Geld geben, daß sie ein Haus hätten aufbauen können, da sie dieses Geld selbst nicht in den Wiederaufbau ihres eigenen Hauses hätten stecken müssen)? Hätte deine Mutter nicht vielleicht in einem anderen Bundesland gelebt und dort vielleicht jemand kennengelernt, der heutzutage ein hochrangiger Politiker ist? Ich könnte diese Gedankengänge in verschiedene Richtungen weiterspinnen, mir etliche Szenarien ausdenken, die hätten passieren können. Du sagst, du trägst besondere Verantwortung gegenüber den Juden, da du Nutznießer ihres Leides bist. Dabei hätte alles mögliche passieren können, es ist nicht klar, ob du nicht selbst auch Leidtragende bist. Vielleicht hätte einer der vergasten Juden bis heute ein Antivirus gegen HIV entwickelt, und wir alle sind die Gelackmeierten.
Worauf ich hinaus will: In der deutschen Geschichte sind schreckliche Dinge passiert (wie übrigens in der Geschichte jeden anderen Landes auch). Aber wir deutschen haben für diese Geschichte einen Preis bezahlt. Wir haben einen Wiederaufbau leisten müssen, wir haben Reparationen bezahlt, wir haben amerikanische Soldaten in unserem Land tolerieren müssen, UND WIR ZAHLEN IMMER NOCH an den Folgen, die uns die Wiedervereinigung des einst geteilten Deutschlandes bringt.
Aber wir haben uns seit dieser Zeit gewandelt, sind ein friedliebendes Volk wie kein zweites geworden. Die Hilfsbereitschaft Deutschlands gegenüber dem Ausland ist beispiellos, sei es durch freiwillige Spenden (Brot für die Welt, Caritas, ect.), sei es durch Katastrophenhilfe o.Ä. Und bis auf eine erträgliche Zahl von Menschen leben wir in dem Bewußtsein, daß wir NIE WIEDER Schuld an einer solchen Entwicklung haben wollen. Es tut nicht not, uns noch mehr eine besondere Verantwortung auferlegen zu wollen, wie wir es bereits selbst tun, mehr führt nur zum Gefühl, gezwungen zu werden und dem Wunsch, sich dagegen zu wehren.
Ach ja, eins noch:
Titjana hat geschrieben:Nochwas zu den Problemen: Die Arbeitslosigkeit, usw waren sicherlich wichtige Faktoren für den Aufstig der Nazis, indes waren sie nicht ursächlich: es gab in vielen anderen Ländern ähnlich schlimme Bedingungen (und sogar schlimmere) und trotzdem haben diese Staaten nicht millionen ihrer Bürger vergast!
Stimmt, Hitler konnte ja nicht überall gleichzeitig sein. Deutschland hat sich sicherlich sehr gut für seine Machtergreifung geeignet. Nicht nur, daß er die Unterstützung des kleinen Mannes durch Arbeitslosigkeit und Armut bekommen hat, auch war Deutschland vom Krieg gebeutelt und fühlte sich nicht nur ungerecht behandelt, sondern auch betrogen (Dolchstoßlegende). Jedoch: Es als eine Eigenschaft der Deutschen darzustellen, daß hier so etwas möglich war, ist ein Trugschluß. Nach Kriegsende wurde gerne so argumentiert, die Deutschen seien eine zu aggressive Rasse (man merke, hier kommt wieder die Rassenlehre ins Spiel), in einem anderen Land wäre so etwas nie möglich gewesen. Nein! Es sind schon solche Dinge in anderen Ländern geschehen, Juden wurden nicht erst seit Hitler verfolgt und früher schon geteert, gefedert und getötet. Das Wort
"Judensau" ist kein Begriff aus der NS-Zeit. Ich denke, es hätte in jedem anderen Land genauso stattfinden können. Denn das Einzige, was diese Geschichte so herausstechend macht, sind die Ausmaße der Tat. Doch selbst die Leute, die unserer Großelterngeneration nicht glauben, daß man zu der Zeit gelebt haben kann und nicht von der Judentötung gewußt habe, werden mir wohl zustimmen, daß nur wenige von diesen Ausmaßen, die es angenommen hatte, gewußt haben werden.